Anja Schramm
Welt Online
Münchner Trainer Van Gaal – Bayerns neuer Baumeister mit Peitsche 22 mei 2009

Direkt, ehrlich, pedantisch und stur: Münchens neuer Trainer Louis van Gaal ist alles andere als pflegeleicht. An den Disziplinfanatiker müssen die Bayern-Bosse Einfluss abgeben. Denn der Niederländer will mit aller Macht Erfolg, weil er aus dem Schatten eines unliebsamen Landsmannes treten möchte.

Herman van Veens Berufung ist die Musik, der Niederländer ist ein Virtuose auf der Violine und ein tiefgründiger Liedermacher. Doch wenn van Veen sagt, „ich bin ein Freak“, dann meint er seine Fußballleidenschaft. Viele Wochenenden hat er auf den Tribünen der Stadien verbracht, der niederländischen Nationalmannschaft schreibt er regelmäßig seine Gedanken. Ab kommender Saison, sagt van Veen, zählt München zu seinen bevorzugten Reisezielen: „Ich bin ein Fan von Louis van Gaal: Ich finde ihn einen faszinierenden Mann, sympathisch und interessant.“ Gespannt lauert er auf van Gaals neues Projekt: den FC Bayern München.

Diesmal scheint er sich sicher, weil er einen erfahrenen Mann geholt habe. „Er hat immer attraktiven Fußball spielen lassen, egal wo.“ Zuletzt war van Gaal beim AZ Alkmaar, in der niederländischen Liga. Den Ehrendivisionär hat er zum zweiten Titel der Vereinsgeschichte geführt, was deshalb bemerkenswert war, da er es mit Profis, die er „keine Topspieler, aber bezahlbar“ nannte, schaffte. „Er hat bei AZ Gewaltiges geleistet. Junge, relativ unbekannte Spieler zu Fußballmaschinen geschmiedet“, schwärmt van Veen. Ein Triumph der mannschaftlichen Taktik über individuelle Klasse und die Regentschaft des Geldes, titelte die Presse.

„Van Gaal funktioniert vor allem in absoluter Freiheit“, glaubt van Veen. Er nennt ihn einen „Baumeister“, der am liebsten schon am Fundament mitwirkt. So wie zu seiner Zeit in Amsterdam, als er Mitte der 90er-Jahre die berühmte Ajax-Schule vorantrieb, auf Nachwuchs setzte und Spieler wie Clarence Seedorf oder Patrick Kluivert formte. Er gewann mit ihnen den Uefa-Cup und später die Champions League. „Er war einer meiner wichtigsten Trainer, da er mir einen taktischen Horizont eröffnete, da er Übersicht und Spielverständnis lehrte“, lobt Seedorf.

Das junge Ajax-Team weckte Begehrlichkeiten bei Europas Beletage, viele gingen ins Ausland, van Gaal etwa nach Barcelona. Er gewann da zwei Meistertitel, wurde aber nicht geliebt, weder von Fans noch den Vereinsoberen. Einen Lernprozess habe er da durchgemacht, gestand er Jahre später. Er hatte den traditionellen Aspekt unterschätzt, im katalanischen Klub schuf er eine niederländische Enklave mit bis zu acht Niederländer im Kader. Ins Tagesgeschäft ließ er sich nicht reinreden. Die „eiserne Tulpe“, nannten sie ihn – einer seiner netteren Titel.

Als er beim zweiten Engagement in Barcelona nach nicht mal einem halben Jahr geschasst wurde, verabschiedete er sich mit jenem Satz, der wohl am besten die angespannte Beziehung zum Klub ausdrückte: „Ich habe in sechs Jahren bei Ajax mehr geschafft als der FC Barcelona in hundert Jahren.“