Herman van Veen
SH am Sonntag
Der Brief
22 feb 2009

Die Sonne strahlt, der Himmel ist blau.
Meine Frau fegt schmutziges Wasser von der Türschwelle, das auf den Fliesen glänzt.
Ihren Schatten haarscharf reflektierend.
Das Geräusch des Besens wird vom Wind mitgenommen.
Sie streicht sich ihre Füße ab, dreht den Hahn zu.
Ein Tannenzapfen plumpst auf den Boden.
Eine Elster schreit.
Einige unbekannte Vögel tschilpen.
Ein fernes Flugzeug.
Ein Mann auf einer Terrasse schreibt diese Worte hinten in ein Buch, das ,Das Orangenmädchen' heißt.
Meine Frau streut jetzt Kaminasche um gerade gepflanzte Pflanzen.
Der Wind legt sich.
Ein Hund bellt.
Eine Taube gurrt.
Ein früher Schmetterling.
Denke an einen Satz,
den ich gerade gelesen habe.
Wie kann ich eine Larve erkennen,
nachdem sie sich in einen
Schmetterling
verwandelt hat?
Ich weiß es nicht.
Ein Auto fährt ein Stück weiter
über einen Kiesweg.
Ein Hahn kräht.

Das Buch, das ich lese, handelt von einem Jungen.
Er findet zwölf Jahre nach dem Tod seines Vaters einen an ihn gerichteten Brief, worin der Vater seinem Sohn einige Fragen stellt.
Wie soll der Junge die beantworten?
Und an welche Adresse mailen oder verschicken?
Frag ich mich.

Hab das Buch noch nicht fertig. Bin gespannt, an welche Adresse das Kerlchen die Antworten, wenn es sie gefunden hat, schicken wird. Lese.

Das Universum hat ungefähr fünfzehn Milliarden Jahre gebraucht, um sich etwas so Wichtiges einsetzen zu lassen wie ein Auge, mit dem es sich selber sehen kann.

So lange wird es sicher noch dauern, bis wir Gott sehen können.

Denke ich.

Antworten, Fragen. Hatte mir schon längst vorgenommen, nur zu sehen, nichts anderes als zu sehen, zu riechen und zu hören - das unsägliche Wunder in dem ich lebe.

Das Buch ist aus. Eine Adresse kam nicht. Die letzten Worte in dem Buch sind: Luckyyou!
Absender-Jostein Gaarder.



Herman van Veen (63) ist niederländischer Musiker, Entertainer und Unicef-Botschafter.
Seine Sonntags-Gedanken schreibt er exklusiv für Schleswig-Holstein am Sonntag.