Anja Schramm
welt.de
Baumeister mit der Peitsche 17 mei 2009

Louis van Gaal soll dem FC Bayern ein Gesicht geben. Liedermacher Herman van Veen singt ein Loblied auf den Niederländer: "Das grenzt an ein Theaterspektakel" Herman van Veens Berufung ist die Musik, der Niederländer ist ein Virtuose auf der Violine und ein tiefgründiger Liedermacher. Doch wenn van Veen sagt, "ich bin ein Freak", dann meint er seine Fußballleidenschaft. Viele Wochenenden hat er auf den Tribünen der Stadien verbracht, der niederländischen Nationalmannschaft schreibt er regelmäßig seine Gedanken. Ab kommender Saison, sagt van Veen, zählt München zu seinen bevorzugten Reisezielen: "Ich bin ein Fan von Louis van Gaal: Ich finde ihn einen faszinierenden Mann, sympathisch und interessant." Gespannt lauert er auf van Gaals neues Projekt: den FC Bayern München.


Diesmal scheint er sich sicher, weil er einen erfahrenen Mann geholt habe. "Er hat immer attraktiven Fußball spielen lassen, egal wo." Zuletzt war van Gaal beim AZ Alkmaar, in der niederländischen Liga. Den Ehrendivisionär hat er zum zweiten Titel der Vereinsgeschichte geführt, was deshalb bemerkenswert war, da er es mit Profis, die er "keine Topspieler, aber bezahlbar" nannte, schaffte. "Er hat bei AZ Gewaltiges geleistet. Junge, relativ unbekannte Spieler zu Fußballmaschinen geschmiedet", schwärmt van Veen. Ein Triumph der mannschaftlichen Taktik über individuelle Klasse und die Regentschaft des Geldes, titelte die Presse.

"Van Gaal funktioniert vor allem in absoluter Freiheit", glaubt van Veen. Er nennt ihn einen "Baumeister", der am liebsten schon am Fundament mitwirkt. So wie zu seiner Zeit in Amsterdam, als er Mitte der 90er-Jahre die berühmte Ajax-Schule vorantrieb, auf Nachwuchs setzte und Spieler wie Clarence Seedorf oder Patrick Kluivert formte. Er gewann mit ihnen den Uefa-Cup und später die Champions League. "Er war einer meiner wichtigsten Trainer, da er mir einen taktischen Horizont eröffnete, da er Übersicht und Spielverständnis lehrte", lobt Seedorf.
Das junge Ajax-Team weckte Begehrlichkeiten bei Europas Beletage, viele gingen ins Ausland, van Gaal etwa nach Barcelona. Er gewann da zwei Meistertitel, wurde aber nicht geliebt, weder von Fans noch den Vereinsoberen. Einen Lernprozess habe er da durchgemacht, gestand er Jahre später. Er hatte den traditionellen Aspekt unterschätzt, im katalanischen Klub schuf er eine niederländische Enklave mit bis zu acht Niederländer im Kader. Ins Tagesgeschäft ließ er sich nicht reinreden. Die "eiserne Tulpe", nannten sie ihn - einer seiner netteren Titel.
Als er beim zweiten Engagement in Barcelona nach nicht mal einem halben Jahr geschasst wurde, verabschiedete er sich mit jenem Satz, der wohl am besten die angespannte Beziehung zum Klub ausdrückte: "Ich habe in sechs Jahren bei Ajax mehr geschafft als der FC Barcelona in hundert Jahren."
München darf sich auf ein spannendes Schauspiel vorbereiten: Dort, wo der Manager neben dem Trainer auf der Bank zu sitzen pflegt und Vorstand wie Präsident die Auftritte der Mannschaft überall kommentieren, wo die Galionsfiguren Beckenbauer, Hoeneß und Rummenigge mehr Strahlkraft haben als ihre Untergebenen. Wie viel Freiheit bleibt da wohl van Gaal?
"Wenn ein Trainer kommt und alles super macht, sind wir glücklich. Dann sitzen wir auf der Tribüne und klopfen uns auf die Schenkel. Denn dann müssten wir gar nix mehr machen - nur noch klatschen", sagte Hoeneß dem Lokalblatt "Merkur".

Direkt, ehrlich, pedantisch und stur - das sind wohl die ausgeprägtesten Eigenschaften des Fußball-Philosophen van Gaal. Er ist ein Disziplinfanatiker, dem das Team näher ist als die individuelle Leistung. Er prägte Sätze wie: "Qualität ist es, den Zufall auszuschließen."
Er hat das Image eines Diktators. Er sagt: "Ich bin ein Demokrat", Sonderbehandlungen der Stars sind ihm fremd. "Er ist einer, der dazwischenhaut", sagt Holland-Legionär Martin Pieckenhagen und bescheinigt ihm einen kauzigen Humor à la Mönchengladbach-Trainer Hans Meyer und ein etwas gespaltenes Verhältnis zu den Medien.
Auch daran wird van Gaal gemessen werden in der Medienstadt München. "Seine Pressekonferenzen grenzen an ein Theaterspektakel", sagt van Veen. "Für uns, die Fernsehzuschauer, ist das herrlich." Einen Journalisten kanzelte er einmal mit einem inzwischen legendären Satz ab: "Bin ich so schlau oder sind Sie so dumm?"

In München können sie sich schon warm anziehen: Um sich sprachlich keine Blöße zu geben, hat van Gaal nach dem Urlaub in seinem Haus in Albufeira an der Algarve einen Deutsch-Kurs für 3000 Euro die Woche im Ex-Kloster Regina Coreli in der Gemeinde Vlught gebucht.
Es ist der lange Schatten von Johan Cruyff, der ihn bislang immer auf seinen Trainerstationen begleitete, von dem er sich in München emanzipieren kann. Cruyff ist ein Held in den Niederlanden, ein Held in Barcelona. Überall war er vor von Gaal, schon als Spieler. "El Salvador", der Retter, nennen sie ihn bei Barca. Und van Gaal?
Als er als holländischer Nationaltrainer an der Qualifikation für die WM 2002 scheiterte, sahen viele in ihm schon einen Ewiggestrigen. "Den schlechtesten Bondscoach aller Zeiten" nannte ihn Marco van Basten 2006, weil er genervt war von den ewigen Besserwissereien des Lehrmeisters van Gaal.
Doch mittlerweile attestierten ihm selbst seine Kritiker, dass er sich der Fußball-Moderne angepasst habe. In Alkmaar etwa kehrte er vom sturen 4-3-3-Spielsystem ab und ließ flexibler mit zwei Viererketten und zwei Stürmern spielen.
"Van Gaal hat seine alte Religion aufgegeben und eine neue gegründet", staunte der "Guardian" nach dem Titelgewinn. "Er hat den Totaal voetbal revolutioniert und in die Moderne übertragen. Nennen wir es Totaal voetbal 2.0."

Van Gaal findet einfach: "Ich bin der Beste."