Herman van Veen
SH am Sonntag
Ich werde ganz still sein
11 okt 2009

Werde wach von einem Glockenspiel. Wo bin ich? In welchem Hotel? Neun Uhr blinkt der digitalewecker. 3. Oktober. Tag der Deutschen Einheit. Die Bundesrepublik hat Geburtstag. Wird heute sechzig Jahre und vor zwanzig Jahren fiel die Mauer. „Geteilt so einig, vereint so uneins." Das wird heute gefeiert.

Schaue aus dem Fenster. Sehe, dass es still auf der Straße ist. Es hängt keine Zeitung an meinerTürklinke. Im Fernsehen sehe ich Bilder von Mickey Mao-Land. Auch die Chinesische Volksrepublik feiert ihr sechzigjähriges Bestehen. Auf dem Platz des Himmlischen Friedens schauen sich einhundertachtzig-tausend Menschen bunte, stramm marschierende Kolonnen und vorbeirollendes Kriegsgerät an. Es hat etwas Angsteinjagendes. Präsident Hu Jintao preist das Volk und sich selbst.

Inmitten der gedrillten Festfreude liegt irgendwo auch stumm der einbalsamierte Leichnam des Mannes, mit dem alles begann, In einem Mausoleum, zu groß für seinen Leib. Hunderte Male aufgefrischt, geschminkt, nachgebessert. Noch stehen jedenTag hundert® Menschen in der Schlange, um einen Blick auf das undichte Gesicht von MaoTse-Tung zu werfen. Der große Vorsitzende und Gründer der Volksrepublik China. Darüber, was er angerichtet hat, über seine Standpunkte wird beim Reis nicht mehr gesprochen.

Die ,Suite', in der ich wohne, besteht aus zwei Zimmern mit Balkon. Ein einfaches Zweibettzimmer mit Zwischentür zum Wohnraum. Fast vierzig Jahre komme ich hier in diese Stadt alle drei Jahre spielen. Jedes Mal wieder dieselben Zimmer.

Schlief hier noch, das ist so an die 25 Jahre her, mit meinem Vater in diesem kleinen Doppelbett. Hab kein Auge zugemacht. Mein Vater schnarchte formidabel, wie ein Holzsägewerk.

In diesem Hotel/wo wir nächtelang mit Aloïs Kurzmann durch saßen und über unsere, inzwischen den Geist aufgegebene, Zeitschrift ,Pierrot' diskutierten, in der wir Menschen zu Wort kommen ließen, die in unseren Augen vorangingen, die damit beschäftigt waren, die Welt zu verändern.

Das Hotel, wo uns Jochen Albrecht von unserer Schallplattenfirma Polydor alles besorgte, was nötig war, um lange Nächte zu überstehen. Aloïs ist tot, Jochen ist tot, Ich weiß es noch. Das Hotel, in dem wir mit Hannovers eigenem Dichter-Musiker, plauderten und anTexten feilten. Mit dem radikalen, bittersüßen Heinz Rudolf Kunze.

In dem Hotel, wo ich Stunden mit meiner Frau amTelefon hing, als unsere Ehe noch an einem seidenen Faden hing. Nichts an diesen beiden Zimmern hat sich verändert.

Jetzt reicht es mir. Hab es satt. Als ich mich nach dem Duschen abtrockne, bin ich von dem zu oft gewaschenen Handtuch voller weißer Fusseln. Brauche gut zehn Minuten, um die wieder abzuzupfen. Es ist einfach ein schlampiges Hotel, wenn auch mit besonderen Erinnerungen.



Herman van Veen (64) ist niederländischer Musiker, Entertainer und Unicef-Botschafter.
Seine Sonntags-Gedanken schreibt er exklusiv für Schleswig-Holstein am Sonntag.