Herman van Veen
SH am Sonntag
Einauge
8 mei 2009

Es schneit Blüten. Die Wege sind besät. Ein sommerliches Winterbild. Die Zweige vom Flieder beugen sich tief in ihrer Blütenpracht. Sie waren einst .die weißen Wächter neben meiner Mutter Sarg.

Es ist Königinnentag. EinTag, benannt nach unserer alten Königin Juliana. Sie wäre heute hundert Jahre geworden. Niederländer ziehen mit orangefarbenen Hupen tutend durch die Straßen. Hier in unserem Hof ist es still. Eine Stille, die nur von Gezwitscher und Geblöke durchbrochen wird. Ein Pfau schreit, ein Fasan krächzt, ein Specht, der klopft. Das Geraschel meiner Zeitung, in der ich lese, dass dieTaliban zurAbschreckung menschliche Gliedmaßen verschicken, eine mexikanische Grippe greift um sich. Sehe ein Foto meines besten Freundes. Der Bürgermeister seines Dorfes übergibt ihm auf dem Foto im Krankenhaus eine verdiente, königliche Auszeichnung. Lese, dass ein halbes Glas Wein pro Tag dein Leben um fünf Jahre verlängern kann. Das bedeutet also, dass ich mit meinen Gläsern pro Tag unsterblich werde. Prima Aussicht.

Lese weiter über Entlassungen, Bankrotts, beunruhigte Unternehmen, Börsen, deren Grafiken sich verhalten wie das Meer.

Laut unserer Regierung ist die heutige Krise nichts anderes als eine finanzielle Angelegenheit. Etwas Vorübergehendes. In anderthalb Jahren, so gaukelt sie uns vor, gäbe es dann wieder business äs usual.
Danach könne man wieder abstauben. Ich glaub das nicht. Diese Krise zeigt ein viel wesentlicheres Problem auf, weil sich hinter den Zahlen ein fundamentales ökologisches Drama verbirgt, das nicht hur Pflanzen undTiere bedroht, sondern auch unsere Art. Verwunderlich ist also, dass bei Gesprächen über Lösungen wohl alle möglichen Politiker, Finanzexperten, Wissenschaftler und Gewerkschafter antanzen, aber niemals ein Vertreter von Vögeln, Fischen, Vierbeinern und Bäumen. Geschweige denn jemand von den vier Millionen gezählten Niederländern der Natur- und Umweltbewegung. Die Niederlande habensechzehn Millionen Einwohner.

Auch dieser prächtige letzte Tag des Monats scheint ein Einäugiger König zu sein. DasTelefon läutet.
Es wurde ein Anschlag auf die königliche Familie verübt. Von einem verzweifelten Opfer der Krise.
Jemand kraxelt den Kirchturm hinauf und hängt die Fahne auf Halbmast.



Herman van Veen (64) ist niederländischer Musiker, Entertainer und Unicef-Botschafter.
Seine Sonntags-Gedanken schreibt er exklusiv für Schleswig-Holstein am Sonntag.