Reiseträume Sachsen-Anhalt

Einen Augenblick Herman van Veen december 2009

„Im Augenblick", 2009 und 2010, ist Herman van Veen auf Tournee durch Deutschland. „Im Augenblick" heißt auch die Tour. Der holländische Musiker, Texter, Komponist, Regisseur, Erzähler, Harlekin ist ein feinsinniger, genauer Beobachter des Menschen in seiner Zeit, der Orte, in die er reist, in denen er auftritt und deren er sich später erinnert. Auf seiner Tour kommt er auch nach Magdeburg und Halle (Saale), zwei gute Gründe, ihn zu befragen.


Auf Ihrer neuen CD „Im Augenblick" setzen Sie sich mit dem Altern auseinander?
van Veen: Ja. Altern heißt, es sind viele Dinge nicht mehr selbstverständlich, die einem selbstverständlich erschienen. Man reist nicht mehr mit der Leichtigkeit, mit der man als junger Mann gereist ist, einfach mal so. Ich bin in unserem Team der weitaus Älteste. Sie sind zwischen zwanzig und vierzig, dann ist lange Ruhe, dann komme ich. Ich spiele auf dieser Tour zum vierzigsten Mal im Theater am Aegi in Hannover, zum achten Mal in Magdeburg, zum tausendsten Mal wherever. Da ist Altern ein Thema. Aber ich singe Lieder über das Glück, gesund zu sein. Ich singe Lieder über den Vorteil, aus seiner Lebenserfahrung heraus gut denken zu können. Ich singe Lieder über das Glück, diese und die künstlerische Erfahrung, die Musik mit jungen Leuten teilen zu können.

Sie singen in dem Lied „Unten am Deich":
„Ich fühle die Wärme deines Gesichts in unserem Königreich..."
van Veen: Meine Frau hat so eine Art, mich anzuschauen, da kriege ich fast Gänsehaut, wenn sie mich so anguckt. Das ist Glück. Ein Glänzen auf dem Wasser, ein leichter Wind im Gesicht, das ist Glück. Ich finde das Leben wirklich ein Wahnsinnsgeschenk. Glück liegt in einem unwahrscheinlich unerwarteten Moment, „im Augenblick". Was ich an Holland liebe ist, dass da überall Wasser ist. Überall. Und das Wasser bestimmt, wie die Wolken aussehen. Holland ist ein dunkles Land. Die Wolken liegen dir fast immer auf dem Kopf. Die großen holländischen Maler haben nur Licht gemalt, das versucht, durch die Wolken zu dringen. Rembrandt, van Gogh, Vermeer. Das sind Leute, die haben Licht gefangen. Was ist schöner, als an so einem See zu sitzen, oder am Deich, und zuzusehen, wie jede Zehntelsekunde das Bild sich total verändert. Die Wolken schweben vorbei. Das Licht fällt herein, das Wasser. Das ist Kino allerhöchster Güte. Das ist unvergleichbar schön - und*da liegt mein Glück. Mein Glück liegt nicht in einem Stapel Euro. Es liegt darin, einem Igel zuzusehen, der die Straße überquert. Dass ich die kleinen Dinge wahrnehme.

Anlässlich eines Konzerts in Magdeburg haben Sie einmal in einem fiktiven Telefonat auf der Bühne Ihrer Mutter erklärt, wo Magdeburg, von Holland aus gesehen, läge: Dicht bei Polen. Haben Sie noch mehr Eindrücke aus der Stadt an der Elbe?
van Veen: Magdeburg war in der DDR-Zeit eine extrem kühle Stadt. Eine vergewaltigte Stadt. Überall hat es gezogen. Wo ich damals Konzerte gab, saßen die Menschen im Saal - so war mein Eindruck - als säßen sie da in Uniform. Ihre Gesichter waren unterkühlt. Sie schau- ten einem nicht gerade ins Gesicht, sondern aus den Augenwinkeln. Die waren vorsichtig. Das Magdeburg von heute ist eine andere Stadt. Das ist eine Stadt, die auf der Suche ist, nach ihrer Identität. Die ist unterwegs, ein Herz zu suchen. Die Farben sind zurückgekehrt. Gut, nach der Wende war erst einmal die Zeit der Geschäfte. Man musste sehen, wie man Geld verdient. Das verstehe ich. Aber jetzt erwacht das Interesse an der eigenen Geschichte wieder. Man spürt das. Man spürt ein Interesse an der Vergangenheit, an den Wurzeln, ohne das man pathetisch würde.
Das findet man in Magdeburg, Dresden oder Leipzig: Man spürt, da kommt ein „sich" zurück! Natürlich wird das alles gleich vermeckdonnelt und vermackt und verbockt und vermockt. Aber man sieht zugleich: Hier wächst eine Identität aus der Geschichte der Stadt. Sie erhebt sich wie ein Phönix aus der Asche in den Himmel. Das ist ein schöner und ein spannender Prozess.

Die Stadt öffnet sich auch wieder dem Strom, der Elbe.
van Veen: Ja. Und diese Identitätsfindung passiert am Fluss, im Dom, auf der Straße, und, ich schätze, auch wenn Jemand zu Hause ist, hört das nicht auf. Das passiert im Osten gleichzeitig überall. Ein wahnsinnig spannender Prozess.
Aber ich muss noch eine Geschichte erzählen Ich kann mich erinnern, als ich zum ersten Mal in der DDR spielte, saß in der ersten Reihe eine verliebte Katharina Witt. Die hat sich durch die ganze Vorstellung geküsst. Sie ist eine große Dame, also nicht zu übersehen. Es blieb mir nichts Anderes übrig: Ich musste durch ihre Küsse hindurch singen. Wenn ich an damals denke, denke ich auch immer an diese Situation.
In Magdeburg denke ich an die Stadthalle, an diesen langen Gang zur Bühne. Heute begegnet man Magdeburgern in der ganzen Welt. Selbst in Capetown, in Südafrika, bin ich Leuten aus der ehemaligen DDR begegnet.

Erzählt man von Otto von Guericke in den Niederlanden?
van Veen: Das haben wir gelernt, in der zweiten Klasse. Der Magdeburger Halbkugelversuch. Da kriegt man solche halbkugelähnlichen Dinger und soll die zusammendrehen und dann auseinanderziehen. Ja, den Guericke, den kennen wir in Holland.

Was lässt Sie nun gern wieder nach Magdeburg kommen?
van Veen: Na, die Neugier. Was haben die in Magdeburg jetzt wieder getan? Wie hat sich die Stadt verändert, wie haben sich die Menschen verändert? Kann man nun endlich holländische Zeitungen am Bahnhof kaufen? Wer wird ins Konzert kommen? Wer ist da, wenn das Saallicht angeht? Was tragen die Leute? Das sind so banale Dinge, aber sie zeigen auch Veränderungen.

Welche Veränderungen wird es geben?
van Veen: Deutschland wird in Zukunft ein Open-Air-Museum mitten in Europa werden. Das ist unvermeidlich. Wir brauchen so etwas in Europa. Es ist auch für die Wirtschaft eine phänomenale Möglichkeit. Stellen Sie sich ein realisiertes Europa vor. Milliarden von Menschen werden an der Geschichte dieses Gebildes interessiert sein, sie kennen lernen wollen.

Die Rolle Deutschlands wäre dann die des musikalischen Museums?
van Veen: Erik van der Wurff und ich schlugen bereits vor, dass man eine Reise durch die deutschsprachigen Länder organisieren müsse mit Stopps an Orten, in denen bestimmte Kunstformen entwickelt worden sind. Eine solche kulturelle Reise auf dem Niveau einer Weltqualität von Leipzig nach Salzburg, von Salzburg nach Detmold, von Detmold nach Bamberg, von Bamberg nach Magdeburg - also eine Reise durch die kulturelle Vergangenheit Deutschlands, welche ja auch die Europas ist, Händel in Halle fällt mir dabei auch ein: Das wäre ein phänomenaler Urlaub für einen Koreaner, für einen Chinesen oder Japaner. Nach Sachsen-Anhalt kommt man in das Land der Liederdichter und -komponisten. Und wir wollen dann dabei die Liedersänger sein. Das wäre schon schön.

Danke für die Zeit und Ihre Lust zu diesem Gespräch.