Herman van Veen
SH am Sonntag
Onkel
21 sep 2008

Sie hatten, mein Onkel Henk undTante Klaasje hier in Meppel einen Friseurladen in derWolstraat. Dort standen oft reihenweise Holzschuhe vor derTür. Musste an sie denken, als ich das Buch "Das entschwundene Land"von Astrid Lindgren las. Darin schreibt sie über die Menschen, die zufällig ihre Eltern waren.
"Ich sah dich, und seit diesemTag sehe ich nur noch dich."

Wohnte bei ihnen in den großen Ferien. Schlief dann oben, über dem Friseurladen, in einer winzigkleinen Kammer.
Da hingen eine Lampe und darunter ein sich kräuselnder brauner Fliegenstreifen voll mit festgeklebten großen goldschwarzen Brummfliegen. Sie summten vom wöchentlichen Viehmarkt durch das offen stehende Fensterchen ihrem süßen, klebrigen Verhängnis entgegen. Auf dem Viehmarkt drängten sich die Bauern aus Staphorst, Drachten, Zwolle.

Viehhändler und Gauner, inmitten von Kühen, Schweinen, Schafen und krakeelenden Hühnern.
Und Pferden natürlich.
Da wurde getauscht und gekauft und verkauft.
Da schlugen sich die Männer die Hände rot und tranken auf den guten Handel. Es wurden Pferde probegeritten.
Sie donnerten vorbei und kehrten genau vor dem brechendvollen Geschäft von Onkel Henk undTante Klaasje um.

Er war ein Bruder meines Vaters, ein geborener Komödiant. Ähnelte Yves Montand.
Er machte aus jedem Kunden einen Auftritt. "Der Nächste! Waschen, Scheren, Schneiden?"
Er maß mit seinen Augen die Größe des Bauern, drehte am Friseurstuhl wie ein Brückenwärter an der Brücke. Verschob die Kopfstütze, faltete und klebte weißes Krepppapier darüber, drehte das Ledersitzkissen um. Riss dann ein Stück von einerWC-Rolle ab, band das als hohen Kragen um den Nacken des Kunden, so dass der aussah wie Willem von Oranje.
Knüpfte ihm dann mit eleganter Geste ein vonTante Klaasje blütenweiß gewaschenes Tuch um, und schlug den Kragen doppelt um.
Dann wusch er sich seine Hände, schmierte ein herrlich riechendes Zeug auf die Wangen des Mannes und seifte ihn danach zu einem Weihnachtsmann mit einem Bart aus Schaum ein.
Wetzte virtuos sein Rasiermesser an einem schmalen Lederband und rasierte den Mann so blitzblank, dass seine Wangen wie Eis spiegelten.
Tupfte dann mit seinen Fingerkuppen ein Eau de Cologne auf, das er sanft mit seinen Handflächen einrieb. "Kaffee?"

(Den zweiten Teil lesen Sie in unserer nächsten Ausgabe)



Herman van Veen (63) ist niederländischer Musiker, Entertainer und Unicef-Botschafter.
Seine Sonntags-Gedanken schreibt er exklusiv für Schleswig-Holstein am Sonntag.