Herman van Veen
SH am Sonntag
Entrüstung
20 maart 2008

Als ich meine Hand auf die Schulter der Stewardess legen wollte, hielt ich mich zurück. Nicht jedem behagt das.

Bin ziemlich berührsam. Umarme Men-schen recht schnell. Das hab ich von Zuhause. Meine Mutter konnte so mal eben die Hand von einem völlig fremden Menschen nehmen, um zu fragen, wo sie jenes Kostüm gekauft hätte. Auch mein Vater war angenehm handgreiflich. Konnte jemandem vor lauter Lachen spontan auf die Schulter hauen oder spielerisch einen Tritt versetzen.
Hab mit meinem Berührungstalent eigent-lich niemals Schwierigkeiten gehabt. Bis letzte Woche. Logierte im Hotel "De Witte Lelie" in Antwerpen. Hatte mein Auto abends ordentlich auf dem Parkplatz vor dem Hotel in der engen Kaiserstraße ab-gestellt. Dort gibt es für einige Fahrzeuge einen reservierten Platz entlang des Gehweges. Am folgenden Borgen wollte ich etwas aus meinem Auto holen. Jemand hatte sei nen dicht vor meinem Wagen abgestellt. So einen, der im Volksmund ein PC-Hooft-Traktor* genannt wird. Solch ein Wagen ist vielleicht in den Pampas Argentiniens praktisch, aber für die historische Innenstadt Antwerpens etwas zu groß.
Der Besitzer des Kolosses erwies sich als eine aufgeregt telefonierende Frau, die unter ihrer Kofferraumhaube mit jemandem in ihrem Handy diskutierte, während sie mit der rechten Hand Notizen auf ein Zettelchen machte. Als sie mich aus ihren Augenwinkeln sah, gab sie mir die Anweisung, mein Auto augenblicklich wegzufahren, denn sie würde da sonst nicht herausfahren können. Meines Erachtens kommt man mit einem solchen Gefährt überall heraus oder drüber weg, sogar über mein bescheidenes Personenfahrzeug.
Sagte zu ihr: "Meine Dame, der Gehweg ist keine fünf Zentimeter hoch, da kommen Sie doch vorwärts leicht drüber. Ihre Augen sprühten Feuer. "Herr, fahren Sie Ihr Auto weg" schnauzte sie mich an. Ich klingelte, weil meine Autoschlüssel noch im Hotel lagen. Die Besitzerin machte auf. Sie sah das gewaltige Auto auf ihrem Parkplatz stehen. "Ist sie ein Gast?" fragte ich. "Nein, sie darf da nicht stehen." "Könnten Sie mir bitte kurz meine Autoschlüssel herausgeben?"
Während die Hotelbesitzerin weglief, um meine Schlüssel aus meinem Fach zu holen, ging ich zu der noch immer telefonierenden Frau, legte meine Hand auf ihre Schulter und sagte, dass ich mein Auto gleich wegfahren würde. Sie sprang nach hinten und kreischte, dass ich ihr fern bleiben solle. "Fassen Sie mich nicht an! Fassen Sie mich nicht an!"
Ein Mann auf einem Fahrrad schaute mich an, als ob ich jemanden vergewaltigt hätte. Ein Fußgänger schüttelte den Kopf. Eine Sturzflut harter Worte wurde mir zuteil. Ich wurde zur rasenden Weißglut. Das ge-schah noch niemals zuvor. Meine Schläfen hämmerten. Bin kaum böse zu kriegen. Das letzte Mal war das, glaube ich, 1956, als je- mand meinen Kreisel gestohlen hatte und zwanzig Jahre später auf dich.

Es passierte etwas vollkommen Merkwürdi-ges mit mir.
Hatte das Verlangen, der Frau an einer weichen Stelle einen gewaltigen Tritt zu geben. Konnte mich gerade noch beherrschen. Ich war darüber so erstaunt, dass mir die Tränen in die Augen schössen.
So wenig, so wenig ist nötig, um einen friedlichen älteren Mann in einen Frauentreter zu verwandeln. Ich schäme mich zutiefst.

* PC Hooft Traktor ist zu vergleichen mit einem Protzwagen, PC Hooft ist der Name einer der teuersten gaschäfsstrassen in Amsterdam


Herman van Veen (60) ist niederländischer Musitrer, Entertainer und Unicef-Botschafter.
Seine Sonntags-Gedanken schreibt er exklusiv für Schleswig-Holstein am Sonntag.