Matthias Schmidt
Stuttgarter Zeitung Online
Zu grell, zu eng, zu teuer 18 juni 2008

Zu grell, zu eng, zu teuer Warum es trotzdem neun gute Gründe gibt, sich jetzt ein Hollandtrikot zu kaufen

Im Sportgeschäft um die Ecke liegt ein Hollandtrikot im Fenster. Es ist, wenn man es nüchtern betrachtet, so ziemlich das Letzte, was man haben möchte. Das Orange so grell, dass man nachts Marder damit verjagen könnte.
Der Schnitt so eng, dass man drin aussieht, als hätte Fix von Fix und Foxi eine Bowlingkugel verschluckt. Und dann noch so teuer, dass man vom gleichen Geld die schicke schwarze Donadoni-Krawatte kriegen könnte, mit der man nicht nur bei Schlachtfesten à la Gattuso, sondern im Prinzip auch bei jeder anderen Gelegenheit besser angezogen wäre. Wer so was kauft? Naja, offengestanden: ich bin in Versuchung.
Wer könnte nach dieser beeindruckenden Vorrunde die Niederländer in ihren grellbunten Leibchen schon noch völlig nüchtern betrachten? Sie haben neun Punkte, neun Tore - und ungefähr neunmal besser gespielt als der Rest. Und für alle, die noch zweifeln, kommen hier neun weitere Gründe, in das Loblied auf Holland einzustimmen.

Erstens und vor allem: Ruud van Nistelrooy. Wie der Stürmer von Real Madrid im Spiel gegen Italien die Annahme eines Elfmeters verweigert hat, gehört zu den bisher schönsten Szenen der EM. Jeder durchschnittliche Vorteilsschinder hätte bei einer derartigen Attacke von Italiens Torwart Gianluigi Buffon zum Hechtsprung mit doppelter Schraube angesetzt. Van Nistelrooy dagegen hielt sich mit einer akrobatischen Rettungsaktion auf den Beinen - und spielte weiter, als sei nichts geschehen. Hier zeigt sich die jahrelange Schule der englischen Liga, wo standfeste Stürmer seit je mehr geliebt werden als Schwalbenkönige. Vielleicht wirkt sie irgendwann ja auch bei van Nistelrooys früheren Kollegen Cristiano Ronaldo.

Zweitens: Marco van Basten. Trainer, die das hohe Lied des Offensivfußballs singen, gibt es viele. Trainer, die beim Stand von 1:0 gegen den machtvoll anrennenden Vizeweltmeister Frankreich zwei Stürmer einwechseln, aber sind eine Liga für sich. Van Basten hat es gewagt, und er ist dafür von den pfeilschnellen Angreifern Arjen Robben und Robin van Persie (drittens und viertens) mit Toren belohnt worden, die künftig in allen Fußball-Lehrvideos auftauchen dürften.

Fünftens haben sich die Holländer die Peinlichkeit einer lustlosen Vorstellung samt Niederlage im letzten Vorrundenspiel gegen Rumänien erspart - obwohl sie damit ihren potenziellen Halbfinalgegner Italien aus dem Turnier hätten werfen können. Für die B-Mannschaft war es nicht viel mehr als ein Trainingsspielchen, und doch schickte sie die Rumänen mit 2:0 nach Hause. Der Verdacht der Manipulation war schneller verscheucht, als er aufkommen konnte.

Dass man sich mit Holland wieder uneingeschränkt freuen kann, liegt - sechstens - auch daran, dass Edgar Davids seit ein paar Jahren nicht mehr mitspielt. Sie erinnern sich: Davids, Spitzname Pitbull, galt lange Zeit als Prototyp des modernen Mittelfeldspielers - unerbittlich in der Defensive und jederzeit ungestüm im Drang nach vorn. Konkret zeigte sich dies bei Davids darin, dass er in jeden Zweikampf ging, als wäre es sein letzter (siehe Gattuso), um anschließend Richtung Strafraum zu stürmen und den Ball aus 18 Metern übers Tor zu dreschen. Dass er dabei wirkte wie gedopt, lag übrigens daran, dass er's gelegentlich auch war.

Mittlerweile prägen im holländischen Mittelfeld verhältnismäßig feingliedrige Techniker wie Giovanni van Bronckhorst, Rafael van der Vaart und Wesley Sneijder das wesentlich angenehmere Bild. Dass Sneijders wahnwitziger Diagonalvolley zum 2:0 gegen Italien hier als Argument Nummer sieben auftaucht, muss nicht extra erklärt werden.

Achtens hat man gerade in Stuttgart diese herrlichen Verrückten lieben gelernt, die als Fans der holländischen Elf um die Welt ziehen. Erwachsene Männer in Hosen mit Kuhschwanz, im obersten Becken des Brunnens am Schlossplatz planschend - da will man doch gleich wie Herman van Veen an eine Welt ohne Kriege glauben.

Zu guter Letzt sollte man nicht vergessen, dass es die Holländer nie einfach hatten. Ihr Land besteht zu großen Teilen aus trockengelegten Pfützen, und ihre Namen sind so kompliziert, dass sie im Alltag kaum zu gebrauchen sind. Man denke nur an den armen Mann, der das Trikot von Jan Vennegoor of Hesselink beschriften musste. Dagegen waren Blaszczykowski bei den Polen und Giannakopoulos bei den Griechen ein Kinderspiel. Aber er hat es geschafft. Der ganze Nachname, alle 20 Buchstaben, prangen jetzt stolz über der Rückennummer: VENNEGOOR OF HESSELINK. Wie es wohl aussehen würde, wenn dort stattdessen SCHMIDT stünde? Ich weiß auch nicht. Irgendwie ein bisschen leer.