Burgit Hörttrich
Westfalen-Blatt
Mit Worten ein Haus im Himmel gebaut

Herman van Veen singt, liest und spielt in der Synagoge
16 dec 2008

Bielefeld (WB). Es sind schöne, es sind eindringliche, es sind traurige Gedichte. Der niederländische Liedermacher Herman van Veen (63) machte aus den Versen von Selma Meerbaum-Eisinger, einem jüdischen Mädchen, das mit 18 Jahren nach einem Leben im Ghetto im Zwangsarbeitslager starb, einen berührenden Abend in der neuen Synagoge Beit Tikwa.


Vor so gut wie ausverkauftem Haus sang und las er aus den 57 Gedichten, die von Selma Meerbaum-Eisinger geblieben sind, spielte auf seiner Geige, fasste die Worte in Musik. Edith Leerkes unterstützte ihn mit ihrer Gitarre.
Herman van Veen wusste nichts von der jungen Frau, von ihrem Schicksal, von ihren Gedichten. Bis ihm ein Mann ein Buch mit den Versen schenkte. Für van Veen ein Zeichen; Der Liedermacher hat. die Gedichte verknüpft zu einem musikalischen Märchen,. das er "Windekind", genannt hat. Darin geht es um Wolken - um Himmelswolken und um Rauchwolken. Es geht um Selmas Leben und ein bisschen auch um sein eigenes.
Ohne Effekthascherei und darum um so nachdrücklicher zeigt Herman van Veen, der 2009 zwei neue Musiktheaterwerke "Ein tag im September" und "Margot" vorstellen will, ein Schicksal, das immer noch sprachlos macht. Für ihn ist es, eine Ode an eine überaus talentierte Dichterin, eine Ehrung für eine junge Frau, die mit Worten ein Haus im Himmel gebaut hat. Herman van Veen singt: "Manchmal scheint der, Himmel nah..."

Die Lyrik spricht nicht nur von Schrecken und Angst, sondern auch von Liebe. Der Himmel ist ihr Sehnsuchtsort. Herman van Veen singt Selma Meerbaum-Eis-inger:



"Ich möchte lachen und Lasten heben
ich mochte kämpfen und lieben und hassen
ich möchte den Himmel mit Händen fassen
ich möchte frei sein und atmen und Schrein
Ich Will nicht sterben. Nein!"


Selma Meerbaum-Eisinger

Die Tochter eines Ladenbesitzers aus Czemowitz (damals rumänisch) wurde 1924 geboren und starb 1942 an Flecktyphus im Arbeitslager Michailowlsa in der Ukraine mit nur 18 Jahren.
1939 begann Selma Meerbaum-Eisinger, Gedichte zu Schreiben und aus dem Französischen, Rumänischen und Jiddischen zu übersetzen.

Ihr Werk umfasst 57 Gedichte, die von ihr zu einem mit Bleistift handschriftlich verfassteh Album unter dem Titel "Blütenlese" zusammengefasst worden waren.
Durch Freunde gelangte die Sammlung nach Israel, wurde dort erstmals als Privatdruck veröffentlicht. In den 1980er Jahren erschienen die Gedichte in Deutschland unter dem Titel "Ich bin in Sehnsucht eingehüllt", Iris Berben las die Gedichte auf einem Hörbuch, vertont wurden sie für Interpreten wie Xavier Naidoo, Reinhard Mey, Ute Lemper und jetzt von Herman van Veen.

Das letzte Gedicht in Selma Meerbaum-Eisingers Album lautet:



"Das ist das Schwerste: sich verschenken
und wissen, dass man überflüssig ist,
sich ganz zu geben und zu denken
dass man wie Rauch ins Nichts verfließt"

. Darunter:
"Ich habe keine Zeit gehabt zu Ende zu schreiben..."