Herman van Veen
SH am Sonntag

Wir rufen Sie an


12 okt 2008

War vier Tage in Detmold bei den Auditions für eine Musiktheatervorstellung. Schauspieler, Sänger, Tänzer, Jongleure, Clowns, sie kamen zu Hunderten singen, tanzen und machen, Ein Mädchen von 15 Jahren, das ein englisches Lied über einen weggefressenen Krebs sang, eine andere über jemanden, der Ratten aus einer mittelalterlichen Stadt verjagte. Ein Clown aus Schweden mit russischem Akzent verwandelte das Auditorium im Nu in die Szenerie einer Geburtstagsfeier bei McDonalds. Ein prächtig gelockter Bariton sang über eine Auster, die in einem goldenen Magen gelandet ist, die alles hat, was sie suchte und stirbt. Ein Mädchen tanzteein Solo und verlor ihr Gleichgewicht, aber das gehörte dazu, so dass wir umsonst aufgesprungen sind. Zwei Straßenmusikanten sangen ein Liedchen, von dem ich dachte: "Ist das nicht von mir?" Eine junge Frau mit Zöpfen, wie Romy Schneider sie einst trug, bezauberte uns mit ihrem wunderlichen Spiel.

Dienstagmorgen, 10.15 Uhr Ein Schauspieler lehnt über dem Flügel, so wie man an einer späten Bar herumhängt: "Surabaya Johnny, warum bist du so roh, warum bist du nicht froh, ich liebe dich so. Du hast kein Herz Johnny" stöhnt, keucht, schreit der stattliche kahle Mann aus Rostock. Eine Schauspielerin spielt nach Mackie Messer eine jüdische Frau, die, um in einem Konzentrationslager zu überleben, von einem deutschen Offizier gezwungen wird, zu singen - ein Mann, der in seiner Freizeit Puppenspieler ist. Das Stück, womit sie sich vorstellt, ist ein Fragment aus der Musiktheatervorstellung Ghetto, das ich einst in einer blutigen Inszenierung von Peter Zadek gesehen habe. Ein rabenschwarzer Mann aus Simbabwe tanzt zu seinen eigenen Faustschlägen. Eine faszinierende Blondine aus der Nähe von Stuttgart überzeugt mit einem irrsinnigen Lied aus Sissi.

Ein Mann, der auf einem durch einen Staubsaugermotor angetriebenen Akkordeon eine Walzermusette musiziert, spielt ein Lied für seinen Bruder, der Soldat in Afghanisfan ist. Und er betet und hofft, dass er wieder nach Hause kommen mag. Eine junge Schauspielerin, die sagt, dass sie tot ist und fragt, wie es uns geht?

Nachts, im Bett, singen, spielen, tanzen, sprechen all die Menschen durch meinen Kopf wie in einem Gemälde von Hieronymus Bosch, Es wird an die Tür meines Hotelzimmers gepocht. Jemand ruft, ob ich die Platte vom "Phantom der Oper" nicht mal etwas leiser drehen will?



Herman van Veen (63) ist niederländischer Musiker, Entertainer und Unicef-Botschafter.
Seine Sonntags-Gedanken schreibt er exklusiv für Schleswig-Holstein am Sonntag.