Ralf Nehmzow schreef 13 oktober 2007 in Das Wochenmagazine van Hamburger Abendblatt


CARTOON HARALD SIEPERMANN ZEICHNET FIGUREN FÜR WALT DISNEY

Ein Zimmer in Hamburg ist die Traumfabrik der Märchenwesen

Mushu, der kleine Drache aus dem Zeichentrickfilm "Mulan", wurde in Hamburg geboren. Auch viele andere bekannte Figuren. Sie machen Kinder froh - und Erwachsene ebenso. Harald Siepermann erweckt sie mit seinen Stiften zum Leben. Der Hamburger zeichnet Weltstars. Nicht in Hollywood, sondern in einer Altbauwohnung im Univiertel. Ralf Nehmzow besuchte den Künstler in der Traumfabrik am Grindel.

Da ist die Gorilla-Lady Kala, die für ihr adoptiertes Dschungelkind Tarzan mit Phil Collins ein herzergreifendes Duett trällerte. Oder die Bärenbrüder und der quirlige Drachen Mushu in "Mulan": Wenn Harald Siepermann von solchen Cartoon-Größen der Leinwand spricht, dann spricht er von seinen alten Bekannten. "Sie sind mir alle irgendwie ans Herz gewachsen, natürlich", sagt der 45-Jährige.

Siepermann ist Zeichner, aber nicht irgendeiner, sondern Charakter-Designer. Seit Jahrzehnten als Künstler immer wieder in den Diensten von Walt Disney und anderer großer US-Studios. Viele der Figuren aus der Traumfabrik der Märchenwesen hat er mitgeschaffen. Nicht in Hollywood, sondern in seiner Altbauwohnung im Grindelviertel. Was für ein Ort für einen Künstler, für die Geburtsstunde vieler Figuren aus dem Disney-Reich: ein typischer Altbau. Hohe Stuckdecken, knarrendes Parkett, vollgestopfte Bücherregale. Zeichnungen, Collagen, Storyboards. Zeichen- und Malutensilien auf dem Schreibtisch. Fotos an den Wänden. Blickt Siepermann aus dem Fenster seines Arbeitszimmers, dann nicht auf den Sunset Boulevard. Statt Hollywood Abaton-Kino, Hamburger Univiertel.

Da drüben auf dem Tisch ist auch Mushu. Eine kleine Plastikfigur des Drachens. Er steckt seine lange Zunge heraus. Daneben im Terrarium: echte "Drachen" - zwei Leopardengeckos aus Indien. Und, ein PC. "Hier lass ich mich inspirieren", sagt Siepermann und lächelt.
Wie ist das? Wie werden Walt-Disney-Legenden geboren? Siepermann schmunzelt wieder, bescheiden, wie es seine Art ist. Denkt nach, sagt: "Ganz einfach. Walt Disney ruft zum Beispiel an und sagt, was sie ungefähr brauchen, worum es in der Geschichte geht." Zum Beispiel um Bären. Oder um Indianer. Ganz vage. Dann geht Siepermann in sich. "Plötzlich ist da eine Idee, die sich langsam weiterentwickelt.
Das ist ein kreativer, oft schwieriger Prozess, bis die Figur am Ende steht. Aber erst mal nehme ich einen Stift und fange an." Er zeichnet, spielt mit den Figuren auf dem Papier. Zeichnet ihnen lange, kurze, dicke Beine und Arme. Ändert. Wirft Erdachtes wieder um. Immer im Dialog mit den Walt-Disney-Studios. Die Kommunikation zwischen Los Angeles und Hamburg: per PC, E-Mails. "Das ist heutzutage am effektivsten. Hier habe ich mein gesamtes Archiv." Die besten Ideen? "Kommen meist morgens, beim Aufwachen."

Siepermanns Hang zu Cartoons und Figuren, zum Zeichentrick und zu Animation, entstand früh. Vielleicht lag es an dem Film, den er als Kind sah: "Dschungelbuch", der Klassiker. "Das hat mich gefesselt, seitdem habe ich gezeichnet, gemalt, in der Schule, bei jeder Gelegenheit." Klar, dass es sein Beruf werden würde, "irgendwas mit Zeichnen".
Der gebürtige Hattinger studierte Illustration an der Folkwangschule in Essen. Tat sich mit Kollegen zusammen, machte Storyboards. Auf diese Art konnten Werbefirmen ihre TV-Spots vorab zeichnen lassen.

"Hollywood war noch weit weg." Bis er eines Tages, in den 80er-Jahren, in London im Büro von Richard Williams hereinschaute, ein Spezialist für Realfilm und gezeichnete
Trickfilmteile, mit dem er zuvor beruflich zu tun hatte. Wie es der Zufall so wollte: US-Regisseur Steven Spielberg verhandelte gerade mit Williams für den Featurefilm "Who framed Roger Rabbit?" Siepermann wurde gleich mit angeheuert. "Da hatte ich auf einmal einen Fuß in der Tür in Hollywood." Monatelang arbeite er in Los Angeles, seine Familie zog dorthin.
Er arbeitete mit Spielberg, lernte Stars wie Bob Hoskins kennen.

Siepermann war mitverantwortlich für die berühmte Szene in "Toontown": Hoskins als realer Schauspieler in einer reinen Cartoonwelt, inmitten von Trickfilmfiguren. Disney und große Angebote lockten. Siepermann kehrte nach Deutschland zurück. "Ich habe dort viel gelernt, aber umsetzen kann ich es auch in Deutschland", sagt der Künstler, den man heute sogar in Japan kennt. Es folgten später Disney-Einsätze wie für "Mulan". 2002 kam der Weihnachtsfilm: "Der Schatzplanet". Es geht um Weltraum-Abenteurer, die sich auf den Weg zu einem Goldschatz machen. Siepermann entwarf hierfür fast alle Hauptfiguren, zum Beispiel den Schiffsjungen Jim Hawkins, den geldbesessenen Schiffskoch Long John Silver und den Kapitän des Weltraumschiffes "Legacy". Der Kapitän ist eine katzenartige Frau - für die Dame ließ sich der Künstler von altägyptischen Zeichnungen inspirieren. Zwischendurch ist Siepermann gefragt als Dozent: etwa an der Hamburger Animation School, der German Film School und der Filmakademie Baden-Württemberg.

Siepermann, der Mann, der auf vielen Hochzeiten der Kunst agiert: Nicht nur Figuren für Walt Disney erweckte er aus seinem Zeichenblock ins Leben, auch für den niederländischen Künstler und langjährigen Freund Herman van Veen war er kreativ tätig. Bei der intensiven Zusammenarbeit entstand die weltberühmte Ente Alfred J. Kwak, die sich für Unicef, für Kinderrechte engagiert. Siepermann gab ihr die Gestalt, Cartoons und eine Fernsehserie folgten daraus. Kwak ist die einzige gezeichnete Figur, die inzwischen zum Unicef-Botschafter avancierte. Seit dem Weltkindertag am 20. September gibt es in Goch (Nordrhein-Westfalen) eine Ausstellung mit Kwak, die noch bis zum 11. November dauert.
"Es ist ein wichtiges Thema", sagt Siepermann. Seine zwölfjährige Tochter Ambra ist eine von Hamburgs Unicef-Juniorbotschaftern. Sie erzählt in Schulen vom UN-Kinderhilfswerk, von Kindern in Not.

Auch die Boxerbrüder Klitschko hat Siepermann mal gezeichnet für eine Filmidee, die bisher aber nicht realisiert wurde; ebenso Günther Jauch für ein Buch; "Harry Potter" für die Playstation-Version... Die neuesten Projekte: "Space Chimps", ein Film mit Weltraumaffen, der im Jahr 2008 in die Kinos kommt.
Und aus dem Disney-Haus: "Enchanted" ("Verwünscht"), der im Dezember herauskommen soll, eine Story mit einer Prinzessin. Und dann ist da noch "Lissi und der wilde Kaiser", eine Sissi-Parodie als 3D-Animationsfilm im Stil von "Shrek III", von Michael "Bully" Herbig. Siepermann war als Zeichner mit im Team: "Es war eine ganz neue Erfahrung", sagt der Künstler. Anders als etwa bei Disney stehe man vor der Herausforderung, mit einem viel geringeren Etat einen qualitativ guten Film zu schaffen. "Nicht leicht", ein Problem gerade von deutschen Zeichentrickfilmern. "Die deutschen Zeichentrick-Kinofilme kommen daher technisch nicht an die Qualität von US-Produktionen heran."

Am 25. Oktober 2007 kommt das Lissi-Epos in die deutschen Kinos.
Siepermann, Vater zweier Kinder, dessen italienische Frau Illustratorin ist, denkt weiter. Hat Pläne. Alles dreht sich um neue Figuren, die noch nicht geboren sind, nur im Kopf des Harald Siepermann existieren.
"Mal sehen, irgendwann erwachen sie zum Leben." Wie die Gorilla-Lady Kala und die anderen Kinderlieblinge.


erschienen am 13. Oktober 2007



Von Ralf Nehmzow