Carolin von Nordeck schrieb am 30.01.2006 in der Wilhelmshavener Zeitung


Chapeau! Starke Momente und Lieder


Das war ein großer Abend für alle Musikliebhaber, Träumer und "Weltverbesserer". Der holländische Musikant Herman van Veen macht den Mund auf nicht nur zum Singen.


WILHELMSHAVEN
Bevor überhaupt der erste Ton gespielt, das erste Lied gesungen und der erste Satz gesprochen wurde, gab es schon reichlich Applaus in der ausverkauften Stadthalle. Herman van Veen, seit Monaten auf Tournee, wurde in Wilhelmshaven wie ein alter Freund, ein Familienmitglied begrüßt und bejubelt.
Pingpongbälle, die über die Bühne klackern im Rhythmus nach der Musik "Schnell weg da, weg da weg, wir haben keine Zeit" und zwei Luftballons sind die einzigen Requisiten, die Herman van Veen für seine dreistündige Show benötigt.
Die Sehnsucht nach Poesie, aber auch nach einer klaren Sprache ist anscheinend weit verbreitet und ebnet dem Musikanten, Geiger und Fantasten den Boden, auf dem er singend und spielend seine nachdenklichen Geschichten erzählt. Er selbst gibt sich bescheiden auf hohem Niveau.

Um so drastischer akzentuiert präsentiert sich seine Kunst. Wenn Herman van Veen die Stimme erhebt und voller Leidenschaft - trotz der 60 oder vielleicht erst durch die 60 Lebensjahre - seine enorme Musikalität auslebt, ist er einfach unwiderstehlich. Lieder wie "Flussviertel", "Die Augen meiner Mutter" oder "Als ich ein kleiner junge war" gehen direkt in die Seelenkammer, ins Herz.
Er singt laut und leise, hart und herzlich, zärtlich und zerrissen und das alles auf einmal. Dabei tanzt er, hemmungslos mitreißend und unglaublich komisch. Die Stimme ist sein stärkstes Instrument. Sein Pianist und Freund, Erik van der Wurff, begleitet ihn höchst einfühlsam. Seit über 40 Jahren gibt er van Veen instrumentalen "Halt".
Überhaupt kommuniziert van Veen nuanciert mit seinen Musikern, die allesamt klassisch geschult sind und in ihrem perfekten Zusammenspiel eine fest verschworene Gemeinschaft bilden. Wenn die Gitarristin Edith Leerkes oder der junge Cellist Karel Bredenhorst ihre Soli spielen, nimmt sich van Veen zurück. Doch so ganz gelingt es ihm nicht, dafür ist er zu präsent und raumfüllend. Nur zu gerne beobachtet man sein kommentierendes Mienenspiel und wartet förmlich auf eine Geste und sei sie noch so klein. Wenn er dann selbst zur Geige greift, scheint er mit seinem Instrument und seiner Musik zu verschmelzen. Magische Momente entstehen, die man nicht so schnell vergisst. So etwas nennt man wohl Kunst.

Der junggebliebene Alte oder der alte Junge, wer weiß das schon so genau, taucht sein Publikum in ein Wechselbad der Gefühle. Van Veen nimmt seine Zuhörer an die Hand und mit auf eine Reise durch das Leben, sein Leben: von der Kindheit hin zur Jugend, zum Alter und darüber hinaus.
Auch aktuelle Weltpolitik, die Leiden der Menschen und besonders die der Kinder, stehen im Zentrum seiner

Botschaft. "Väter die sich Christ nennen oder Muslim, was haben euch die Kinder denn angetan?". Nach solchen Liedern wagt man kaum zu klatschen.

Doch van Veen kann auch anders. Plötzlich hüpft und springt er wie ein Derwisch über die Bühne, schwingt die Hüften, zappelt und dreht ich nach Heavy Metal Klängen. "Ich hab ein zärtliches Gefühl" brüllt er dazu ins Mikro, auf dem Boden liegend.

Wenn er auf der Bühne steht oder liegt, verschenkt er ich an sein Publikum ganz und gar. Ein Mädchen übereicht ihm eine Rose und einen Brief. Mit einer Verbeugung nimmt er die Rose, rupft ihr die Blütenblätter aus und verteilt sie an seine Musiker, das letzte Blatt klebt er sich auf die Nase und blickt staunend in den Saal.

Beifall, Zugaben über Zugaben, stehende Ovationen. Chapeau Hut ab! Hermann van Veen läuft durch die Reihen, schüttelt Hände und schüttelt noch einen Kalauer aus den offenen Hemdsärmel: "Nehmen Sie auf dem Nachhauseweg die Böschung. Auf der Straße passieren die meisten Unfälle."