Stefan Benz schreef 4 december 2006 in Echo Online (Darmstadt)


Der Tod sorgt für die Brüche


Konzert: In der Reihe „Quatsch keine Oper!“ gastiert der singende Harlekin Herman van Veen mit der Gitarristin Edith Leerkes im Großen Haus des Darmstädter Staatstheaters

DARMSTADT.
Eigentlich lag Darmstadt nicht auf seiner Tour-Route. Doch dann kam da diese Anfrage, ob er nicht in der „Staatsoper“ auftreten wolle, erzählt Herman van Veen. Und das fand er dann „schick“. Wer seit fast vierzig Jahren auf der Bühne steht, wer über eine Stimme verfügt, die „We are the Champions“ zur Donner-Arie hochjubeln kann, der hat fürs Opernhaus auch die passende Nummer im Repertoire.
Da parodiert der gelernte Musikerzieher aus Utrecht im Großen Haus des Staatstheaters das Opern-Ensemble in vielen Stimmlagen: Die Sopranistin mit der endlosen Sterbe-Arie, den stammelnden Tenor, den Bariton-Gockel mit der offenen Hemdbrust und den Chor, der Koloraturen gluckert. Der fidele Opern-Quatsch könnte die Motto-Nummer sein für die Programmreihe „Quatsch keine Oper“, bei der Halbneun-Bühne, Centralstation und Staatstheater mit einer Agentur gemeinsame Sache machen, um Kleinkunst und Solisten vor großem Publikum präsentieren zu können.

Am Freitagabend ist das Große Haus voll. Lang ist es her, dass der holländische Liedermacher in der Stadt war – 1990 und 1992 im Kongress-Saal genannten Veranstaltungshangar des Luisencenters. Da ist das Staatstheater die deutlich bessere Adresse für einen Künstler, dessen Stil mit den Jahren immer trefflicher mit seiner Erscheinung verschmilzt. Was man dem jungen van Veen noch als Betulichkeit auslegen konnte, ist bei dem Manne von 61 Jahren altersmilde. Was mal allzu gesetzt gewirkt haben mag, nimmt sich nun – passend zum silbernen Haarkranz – nachgerade weise aus. Vor 39 Jahren hat er sein erstes Solo in Utrecht gespielt.

„Harlekijn“ hieß das Programm, und den Clown gibt er noch heute, bändigt Luftballons, wirft mit Glitzerkonfetti und Tischtennisbällen. Ja, er feuert sogar zum Schluss eine Konfettiwolke mit dem Feuerwehrschlauch ins Parkett und lässt es Pingpong vom Bühnenhimmel hageln. Van Veen persifliert die Eitelkeit eines Piano-Maestros, entzaubert die Kunst der Magier und zieht als Macho mit einem fast schon entmannenden Griff die Unterhose bis zur Brust. Am Ende türmt er sechs Zylinder auf seinen Kopf und heftet sich ein Rosenblütenblatt wie eine Clownsnase ins Gesicht. Das kleidet die zarte Poesie dieses Harlekins nicht schlecht.

Die barfüßige Gitarristin Edith Leerkes ist es, die Herman van Veen an diesem Abend musikalisch befeuert, mit ihm in Dialoge tritt, wenn er in die Tasten, zur Geige oder zur Gitarre greift oder einfach nur auf dem Kontrabass sitzt. Dann machen sich die beiden auf zu Weltreisen von Spanien nach Japan, spielen mal Rock, meist Folk und lassen auch die Musik des fahrenden Volkes anklingen. Dabei ist van Veens Melancholie vor allem in seinen Chansons stets fernwehmütig und heimatgeerdet. Mit seinem Akzent, der wie eine Wärmflasche für die Ohren wirkt, kehrt er in Erinnerungen immer wieder in die Straßen seiner Jugend zurück, zum kleinen Herman, der die Schule schwänzen will, und zum Onkel Franz, der aus Übermut bei einem Kongress als Experte auftritt.

Die Pointen sind nicht mehr taufrisch. „Unter vier Augen“ ist ja auch ein Programm mit Höhepunkten seines Schaffens. Aber das stört seine Fans nicht. Sie sind hingerissen von der lyrischen Kunstfigur, dem leisen Empfindsamkeitskomiker und tollkühnen Refrainschmetterer. Das könnte einem in zweieinhalb Stunden zu viel werden, wenn Herman van Veens poetische Weltbilder-Collage nicht immer wieder Risse hätte. Da singt er von den Schulaufgaben seiner Kindheit und ist plötzlich bei jungen Soldaten im Irak. Zum Protestsong reicht das nicht, aber zur Protestpointe. Und sein Erziehungsratgeber für junge Eltern, die ihr Kind in den Armen wiegen sollen, bevor es groß ist, gipfelt gallig in der Bemerkung, dass Mütter in Afrika ihr Baby innig wiegen müssen, bevor es tot ist. An den zärtlichsten Stellen bricht die Lyrik, und es quillt gallig Zynismus heraus. Auf den Tod kann sich Herman van Veen keinen anderen Reim machen.

Es ist wohl nicht zuletzt diese Haltung, die seine Kunst am Leben erhalten hat. Vierzig Prozent seines Publikums seien seit 1968 gestorben, erzählt er den Zuschauern. Dennoch muss sich der zweifache Großvater Herman van Veen keine Sorgen um seinen Besuchernachwuchs machen. In Darmstadt zeigt sich, dass er in all den Jahren immer neue Generationen gewonnen hat. Einige haben an diesem Abend auch schon ihre kleinen Kinder mitgebracht.