Thomas Altmann schrieb am 03.02.2006 in der Mitteldeutschen Zeitung


Und die Seele spielt Pingpong


"Hut ab!" Herman van Veen gastierte mit seinem Programm im Anhaltischen Theater


Dessau/MZ.
Es regnet Lust. Es schneit Liebe. Es nieselt Trauer. Es hagelt Wut. Irgendwann prasseln Pingpongbälle auf die Bühne. "Papierboote aus Sehnsucht" segeln in die Kindheit. Der Narr kichert und im Hafen lauert der Tod. Immer wieder wird aus dem handfesten Prediger ein empfindsamer Clown, aus dem leisen Minnesänger ein lauter Streiter. Und endlich krempelt er die Hosenbeine hoch.

Aber Herman van Veen zeigt nicht nur Knie. Am Mittwoch kehrte er im Anhaltischen Theater die Seele nach außen. Sie trägt keine Falten. "Hut ab!" heißt das Programm. 60 Jahre ist er alt und weise längst, ganz einfach, ganz ehrlich und immer hautnah. Van Veen sitzt auf dem Kontrabass: "Jeder Zug will nach Paris". Vater und Mutter kehren Heim, "Amsterdam Süd, Flussviertel. Straßen strömen durch den Kopf". Deutsch niederländische Wunden reißen auf, später beim Fußball.

Er wirft Pingpongbälle auf die Bühne und fragt: "Habe ich schon er wähnt, dass ich Opa geworden bin?" Was für ein Großpapa! Ach ja, die Kinder. Da unterweist er die Väter, wiegt sanft ein Kind in den Armen, auf dass man rührselig in die Windel und in die windelweiche Rührseligkeit starre. Es folgt die afrikanische Version: "Wiege es sanft in deinen Armen. Bevor du es merkst, ist das Kind schon tot." "Groß" heißt es in der europäischen Version. Das darf man nicht lesen. Das muss man hören. Van Veen ist ein eindringlicher Flüsterer, ein Rufer, dessen Stimme bis ins Mark reicht und bis in die Kantine wohl auch.

Gerät die Liturgie gewöhnlich zur sprichwörtlichen Litanei, seine Fürbitte, sein Kyrie Eleison hat Saft, und wenn das Buch der Bücher staubt, auch die nötige Entfernung. Apropos Gott. "Als Kind hatte ich schreckliche Angst vor Gott, weil Gott immer alles sah"" Dann sei er, von allen unbemerkt, die Treppe herunter gefallen. Gott habe alles gesehen und nichts gemacht. "Ich fand Gott blöd." Und darum spielt er jetzt wohl Panflöte, nicht wirklich, aber doch anheimelnd kristallin. Geige spielt er natürlich auch und Gitarre oder Klavier, Clownerie mit Rhythmus und Feingefühl an den Tasten. Begleitet wird er von kongenialen Musikern. Da tanzt die Poesie folkloristisch und à la van Veen.

Am Klavier sitzt noch immer Erik van der Wurff. "War die Welt besser als wir 18 waren?" Eigentlich nicht. Armut habe es gegeben, Hunger und Gewehre. "Aber wir hatten den Morgen, jetzt bleibt uns der Abend." Und immer wieder verrinnt das bisschen Leben. "Ein Mensch hat in seinen Leben keine Zeit, um für alles Zeit zu haben." Van Veen nimmt sich Zeit für große und kleine Gefühle, für vordergründige Gassenhauer und für hintersinnige Komik. Mag er zuweilen mit dem Verlust kokettieren, getrauert wird ohne Wimmerton.

Die alten großen Hits braucht er gar nicht. Zärtliche Gefühle gibt es mehrere, nur das "zärtliche Gefühl" schlechthin, den Titelsong der Langspielplatte, mit der van Veen 1973 in Deutschland den Durchbruch schaffte, verballhornt er in einer knisternd knarrenden Rock Version. Leise Töne folgen. Es scheint so einfach, ganz für sich zu sein. Also: "Hut ab!" Er trägt einen hohen Hut. Und die Seele spielt Pingpong.

"Ein Mensch hat in seinen
Leben keine Zeit, um für
alles Zeit zu haben."


HERMAN VAN VEEN
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