Nina-Anna Beckmann schrieb m 02.05.2006 im Main-Echo


Hut ab!


Der Liedermacher und Philosoph Herman van Veen begeistert das Publikum in der Alten Oper Frankfurt


FRANKFURT
Die Fahrstuhltüren beginnen sich zu schließen, da kommt noch ein Mann durch das Foyer der Alten Oper gerannt. Im letzten Moment zwängt er sich durch den Spalt zwischen den Türen und lehnt sich schwer atmend an die Wand, den Blick auf die Eintrittskarte in seinen Händen gerichtet. Die fremde Frau ihm gegenüber lächelt ihn aufmunternd an und sagt: "Jetzt wird es ruhig und entspannend. "

Dabei kann ein Abend mit Herman van Veen gar nicht ruhig und entspannend sein. Dafür ist der 61-jährige Holländer zu sehr ein Kämpfer und Kritiker. Einer, der nicht müde wird, gegen das Unrecht in der Welt anzusingen, der vorgibt zu unterhalten, seine Zuhörer dabei aber behutsam und dennoch bestimmt in ein Wechselbad der Gefühle stupst.

Aber Herman van Veen ist noch viel mehr. Er ist ein Liedermacher und Philosoph, ein Kabarettist und Clown, ein Sänger und Märchenerzähler, ein Meister der Inszenierung und ein Poet, ein Dirigent und Musiker, ein moralisierender Weltverbesserer und ein Chansonnier, ein Traumtänzer und Entertainer. Aber vor allem ist Herman van Veen ein Mann der leisen Töne. Zwar haut er - im wahrsten Sinne des Wortes - auch mal auf die Pauke, wälzt sich beim Gitarrensolo wie ein drehender Derwisch auf dem Bühnenboden, springt ballettuös von einer Bühnenseite zur anderen oder spielt mit Händen, Füßen und dem Flügel-Deckel als Percussion-Instrument Klavier, doch seine Kritik an Krieg, Hunger, Fremdenhass und Kindesmisshandlung schleicht sich leise, fast heimtückisch heran.
Gerade hat man sich entspannt lachend in seinem Stuhl zurückgelehnt, da kommt diese Kritik schön verpackt in einem Nebensatz durch die Hintertür herein geschlüpft und das Lachen bleibt einem im Halse stecken, van Veen will eben nicht nur unterhaltsam sein. Das wollte er noch nie. Und doch ist er es trotz allem. Dieser Abend in der Alten Oper ist genauso schwer zu fassen wie er selber.

Er schwankt zwischen zarter Lyrik, rasanten Musikstücken, sentimentalen Liedern, Klamauk- und Slapstick-Einlagen bis hin zu Witzen, die er mit jungenhaftem Schalk erzählt. Egal, was er macht, alles scheint aus tiefster Seele zu kommen. Ebenso wie bei den drei Musikern, die er um sich geschart hat: Erik van der Wurff (Piano), mit dem er seit 40 Jahren zusammenarbeitet, Edith Leerkes (Gitarre und Gesang), die van Veens Kompositionen eine akustische Richtung gegeben hat, Jannemien Cnossen {Gesang und Geige) und Karel BredenhorSt (Cello).
Sie sind nicht nur begnadete Musiker, sondern passen sich perfekt in van Veens kleine Inszenierungen ein, die er mit nur wenigen Hilfsmitteln - einem roten Schal, zwei weißen Luftballons, drei schwarzen Stühlen, vier Zylindern und unzähligen Tischtennisbällen - kreiert. "Hut ab! " hat er sein Programm genannt, weil er findet, dass jeder Hut eine eigene Geschichte hat. Van Veen, der für sein soziales Engagement unter anderem mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet wurde, erzählt sie an diesem Abend. Er singt von Liebe und Leid, Kindheit und Alter und aktuellen politischen Themen.

Am Ende seines Konzerts blickt er unsicher und leicht irritiert über den los brechenden Beifallssturm ins Publikum, als wenn er fragen wollte: Das hat euch wirklich gefallen? Zum Schluss weiß man nicht mehr, wie viele Zugaben er dem stehend applaudierenden Publikum in der Alten Oper gegeben hat, das ihn einfach nicht gehen lassen will und jedes Mal so lange klatscht, bis er noch mal auf die Bühne kommt und noch mal und noch mal. Und der Mann aus dem Fahrstuhl wird zu Hause vielleicht erzählen, dass der Abend zwar nicht entspannend und ruhig, in jedem Fall aber phantastisch war.
Hut ab!