Am 16.12.03 schrieb Hanno Harnisch in Neues Deutschland...


Ich hab ein zärtliches Gefühl


Herman van Veen schrieb ein neues Buch - "Unter einem Hut" - und spielt en suite sein neues Theaterstück in Berlin

Von Hanno Harnisch

Ich erkenne in dir
die Weisheit des Hofnarren,
die Brutalität des Moralisten
während du vorgibst
nur das Ziel zu verfolgen
uns zu unterhalten.

Georges Moustaki

Herman van Veen wurde 1945 in Utrecht geboren. Er nimmt uns gleich zum Anfang seines neuen Buches mit in die Kievitdwarsstraat 52, in das Haus, in dem er aufwuchs, mit seinen Schwestern, mit seinem Vater, der "ein Sozialist von altem Schrot und Korn" war, und der sich im Konzentrationslager Phosphor auf die Hände strich, um nicht nach Deutschland ins Arbeitslager zu müssen. Und wir erfahren von seiner Mutter, deren "Augen konnten strahlen, aber auch so schwarz sein wie Kohle". Manchmal sträubt man sich, wenn einen ein verehrter Künstler allzu nah an sich heran lässt. Bei Herman van Veen ist es umgekehrt: Ich will alles genau erfahren, was ihn so gemacht hat, wie er von der Bühne, aus dem Fernseher (viel zu selten) und von gegenüber (noch viel seltener) wirkt. Schon lange, bevor er das erste Mal in der DDR auftrat, habe ich alles von ihm, was ich erlangen konnte, in mich aufgesaugt. Seine Texte kannte ich fast so wie die der Beatles, und sie hatten sogar noch einen entscheidenden Vorteil: Es gab sie auf Deutsch. 123 CDs in verschiedenen Sprachen und 50 Bücher soll er mittlerweile verfasst haben.

Als er 1999 im Namen des deutschen Bundespräsidenten das "Verdienstkreuz am Bande des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland für seine besonderen Beiträge zu den deutsch-niederländischen Beziehungen" erhielt, habe ich zum ersten Mal einen Orden dieser Republik gemocht. Also war ich außerordentlich gespannt auf "Lebendige Erinnerungen" des Gesamtkunstwerks und des Menschen Herman van Veen. Dessen Augen sind wie die auf alten holländischen Gemälden: fröhlich traurig. Dessen spärliches Haar langsam weiß wird. Der sich für uns und unsere Kinder auf die Suche nach der Wahrheit und dem Zweifel begeben hat. Alle Stationen nach dem Haus seiner Kindheit haben diesen Künstler geprägt. Ob es ein Land, ein Kontinent, ein Zimmer in einem Hotel oder eine flüchtige Begegnung ist. Beispiel: "Als kleiner Junge erledigte ich Einkäufe für Blonde Truus, eine Hure aus unserer Straße. Ich verdankte diesem Job allerlei Einblicke ins Leben. Meine Freunde fanden es allerdings komisch und brachten mich zum Zweifeln. Fragte meine Mutter um Rat. ›Blonde Truus ist gut für unglückliche Männer‹, sagte sie, ›man muss sie als eine Art Doktor sehn.‹" Wir erfahren auch einiges über die erste Liebe und die erste Geige im Leben des Hermann van Veen. Beispiel: "Im Kindergarten heiratete ich Corrie van Stokkum und danach Marijke Hoffman, die Mutter von zwei meiner Kinder. Ging auf die Maria-Montessori-Schule zu Lehrer Bram Mok, einem fröhlichen Mann mit einem Arm. Weil ich dauernd pfiff und sehr gern sang, verschaffte er mir eine Geige. Was zur Folge hatte, dass ich nach der Schulzeit noch Musikunterricht an der Utrechter Musikschule bekam. Gesang bei Frau de Vries und Geige bei Fräulein Doornekamp, in die ich heimlich verliebt war."

Um Comicstrips kaufen zu können, hat van Veen als Junge fünf Jahre in zwei Zustellbezirken Zeitungen ausgetragen. "Ich kannte da alle Briefkästen. Alle Fliesen. Ich wusste, welcher Mann welchen Hund hatte. Meine ganze Oberschulzeit habe ich die Bezirke mit Weltnachrichten versehen. Ich wusste, wer nicht bezahlte und wem ich das lieber nicht sagte, um keine Tracht Prügel zu kriegen." Jetzt feiert er mit eigenen Comics Triumphe, und sein "Alfred J. Kwak" ist die liebenswürdigste Ente weit und breit.

Den "Lebendigen Erinnerungen" van Veens ist eine Liebeserklärung seines Kollegen Konstantin Wecker vorangestellt. "Die ersten Minuten eines Konzertes ist man versucht, sich selbst in Vergleich zu stellen, vielleicht sogar auf etwas zu warten, was man ihm voraushaben könnte, abzuwägen, auf Schwächen zu warten. Aber da sei dieser außergewöhnliche Mann vor.

Er zieht mich so in seinen Bann, daß ich schon nach kurzer Zeit nicht mehr in der Lage bin, nachzudenken. Ich muß mit ihm mit, mit auf seine phantastische Reise, und da bleibt keine Zeit für Eifersüchteleien, da wird man ganz klein und verläßt nach dem Konzert gerade deshalb als Riese den Saal. Ich könnte von seiner zärtlichen Art zu singen schwärmen, von seiner immer eigenständigen und sich nicht modischen Strömungen verschreibenden Musik. Ich könnte natürlich in hohen Tönen seine Fähigkeit preisen, alles mit seinem Körper auszudrücken. Aber für mich das wichtigste ist wohl, daß es ihm immer gelingt, auf unterhaltsame Art seine Philosophie in die Herzen seines Publikums zu verpflanzen." Herman van Veen liebt die Menschen und holt sich vom Himmel die Inseln, auf denen wir mit ihm träumen dürfen. Deshalb brauchen wir ihn mehr als je zuvor. Ein Teil der "Alfred J. Kwak"-Einkünfte kommt noch immer der Stiftung "Colombine" zugute, die van Veen 1977 gründete, um überschaubare Projekte in Entwicklungsländern zu finanzieren.

Frank Sinatra hat ihn einmal gefragt, was er genau mache. "Fällt mir immer schwer, das zu erklären. Verirre mich schnell in Umständlichkeit. Ich sing and write songs. ›Good for you. You're lucky, wenn man davon leben kann. Hörmän, wir singen für die Menschen, die nicht dabei waren.‹" Und wir lesen die Sicht eines Weltenträumers auf die Maueröffnung. "Elf Millionen Ostdeutsche besuchten in den ersten zehn Tagen nach dem Fall der Mauer Westberlin und die Bundesrepublik. Elf Millionen Menschen kletterten über Steine, krochen durch Stacheldraht, gingen direkt über frei gemachte Grenzübergänge ins Gelobte Land. Fast dreißig Jahre Schmerzen. Folge des größten Krieges, den die Menschheit je gekannt hat, verschachert an die Interessen der Touristenindustrie."

Erzählen sie ihren Kindern und Enkeln von Herman van Veen. Sie werden besser davon.

Hermann van Veen Unter einem Hut, Lebendige Erinnerungen, aus dem Niederländischen von Thomas Woitkewitsch, Rütten&Loening, 192 S., 17 EUR.