Harriet Oerkwitz schrieb am 29.10.2005 in der NNZ - Rostock




Alles unter einem Hut...


Herman van Veen riss das Publikum in der Stadthalle zu Beifallsstürmen hin


Sein niederländischer Kollege Philip Freriks räumt Herman van Veen einen Platz zwischen Surrealismus und Humanismus ein. Heinz Rudolf Kunze spricht dem Clown, Schauspieler, Virtuose und Sänger das Prädikat "mobile Zirkuskirche" zu. Shirley MacLaine bewundert auf der Internetseite des Holländers seine unerschöpfte Gier nach Selbstfindung und Anstiftung zur Selbstfindung: "Ich war oft getroffen von der Mischung seiner zentrierten Überzeugung, dass er ,er selbst' sein möchte, auch in Momenten, wo er unsicher war."
Was die 2000 Gäste, die am Donnerstag das mehrstündige Konzert von Herman van Veen in der Stadthalle besuchten, an Persönlichkeit und Verwandlung auf dem Wege nach Hause spüren vermochten, darf nur erahnt werden. Stehend zollten sie dem Künstler Dank und Anerkennung für ein herausragendes Programm mit Charme, Humor und Schmerzen bereitender Ehrlichkeit.

Den Grundstock dessen legte das im Sommer erschienene Album "Hut ab!" 14 eigene Kompositionen oder Texte - zum Beispiel "Die Väter", "Schulaufgaben", "Kleiner Wahnsinn", "Mannomann" oder "Wiedersehen" - wurden durch komisch arrangierte Coverversionen - ohrenscheinliches Beispiel war Queens "We are the Champions" - erweitert. Der oben bereits zitierte Kunze steuerte "Alles unter einem Hut" bei.


Wo Wolken Ferien machen


Van Veens Konzept ist schnell verinnerlicht, so tief schürfend dessen Wirkung: das Polarisieren von Stimmungen. Eben noch zwitschernd durch die Natur gehüpft ("Warum ich so fröhlich bin?", lässt Herman van Veen seine Figuren über Leichen stolpern ("Was haben euch die Kinder angetan?"). Er schreibt über Krieg, Hunger, Katastrophen. Er warnt vor gefährlichen Interpretationen des Glaubens und der Religionen im "Kyrie Eleison" und triumphiert über eine völlig verstaubte Bibel. Er zieht einen Vergleich von Beten und Psychose, als hätte man auch allein darauf kommen müssen. Van Veen demonstriert Kommunikationsprobleme, dass sie jeder versteht - er singt und erzählt sie, er tanzt und witzelt über sie. Man muss doch begreifen. Wen und was? Alles!

Unterstützung findet die weiche, klare Stimme Van Veens in der Begleitung durch Gitarre, Schellring, Kontrabass, Akkordeon und Klavier, mittels Geige, Schuhgeklapper, kleiner Trommel und Chor. Ein Tisch, Hunderte Tischtennisbälle, zwei Nationalflaggen (deutsch und niederländisch) und ein Handy - mehr braucht der Künstler nicht. Noch ein wenig Platz für seine instrumentalen Gefährten, die ihn unbedingt verlangen, so technisch perfekt und handwerklich groß sind sie. Spezielle Effekte für die melodischen, vereinzelt "jazzigen" Arrangements kommen hier nicht aus dem Computer oder einem Keyboard. "High-Tech" sind Stimmbänder, Hände und Füße. Wenn keine Panflöte zur Hand ist, wird sie ähnlich einer Beat-Box erfunden. Alles ist möglich auf einer phantastischen Bühne, auf der "Wolken Ferien haben" und auf der man zwei Mädchen gleichzeitig lieben darf.

Die vier Zugaben mussten nicht lange erklatscht oder erbettelt werden. Viel zu gern steht Herman van Veen auf der Bühne. Schließlich steht er auch gern vor der Bühne. Sein Ritual, am Ende des Konzertes durch die Zuschauerreihen zu gehen, bleibt wohl auch nach unzähligen Wiederholungen ein Genuss. Vielen Dank, Herman van Veen.


Harriet Oerkwitz