Dieter Römer schrieb am 29.05.1993 in der Frankfurter Allgemeine Zeitung

"Und dann gehe ich in Richtung Bühne"



Der holländische Clown und Sänger über seine Konzerte, über Frankfurt und Entwicklungshilfe

Vielleicht hätte man doch Karten für alle drei Konzerte in der Alten Oper kaufen sollen. Denn Herman van Veen, holländischer Clown, Entertainer und Sänger, empfindet die Frage, was er denn diesmal vorhabe bei seinen Auftritten in Frankfurt, als "sehr schwierig". "Das ist, wie wenn man einen Maler nach einem neuen Bild fragte", sagt er. "Ich will versuchen, die Leute mitzunehmen zu den Dingen, die mich jetzt beschäftigen. Das Programm wechselt jedenfalls enorm." Van Veen ist der Ansicht, ein Konzert habe sehr viel mit der jeweiligen Stadt zu tun, in der es stattfindet. "Frankfurt ist in meiner oberflächlichen Analyse eine sehr amerikanisch wirkende Stadt. Es ist vielleicht die härteste Stadt Deutschlands."

Und woran liegt das? "Hier in Frankfurt, wie ich Frankfurt kenne, gilt doch: Geschäft-Geschäft-Geschäft", meint er. "Und wir spielen in der Alten Oper, ein sehr vornehmes, schickes und reiches Haus, was das Konzert auch beeinflußt." Es sei der jeweilige Tagespreis, zu dem man singe, und der werde bestimmt durch die Umgebung. "Frankfurt ist auch eine Stadt mit einer jüdischen Vergangenheit, und es ist sehr gut, das zu wissen, weil es auch meine Vergangenheit ist."

Wie bereitet er sich denn vor auf ein Konzert? "Als erstes forsche ich nach. Vor dem ersten Konzert in einer Stadt tue ich eigentlich nichts. Ich denke eigentlich nur nach, und ich versuche, mich daran zu erinnern, was ich hier schon getan habe, wie es war, und dann gehe ich in Richtung Bühne - mit dem, was ich gestern und heute gelesen und gesprochen habe." Frühere Konzerte in der Alten Oper dauerten etwa drei Stunden. Hat die Veranstaltung diesmal ähnliche Dimensionen? "Ich fürchte, ja, denn die Leute gehen nicht weg, das ist eines meiner größten Probleme."

Herman van Veens Konzerte und Schallplatten sind immer von sehr vielen Gefühlen getragen. Wo nimmt er die eigentlich her? "Ich habe von zu Hause viele Gefühle gekriegt, von den Eltern und von Leuten, die mich gemocht haben, die enorm viel in mich investiert haben. Nicht mit Sachen, aber mit Zeit, Andacht und Liebe. Und ich bin voll davon, ich kann viel davon verschenken."

Was unterscheidet deutschsprachige von anderen seiner Schallplattenprojekte? Wie geht er heran an die Arbeit? "Ich weiß zum Beispiel, in zwei Tagen gehe ich nach Deutschland, um Konzerte zu geben. Eine CD entwickelt sich aus den Vorstellungen heraus. Ich gehe nicht auf Tournee, um für eine Schallplatte zu werben. Ich habe 120 Konzerte gespielt, ohne daß es die neue CD gab, denn die neue CD hat sich während dieser Tournee entwickelt. Die neue CD gibt es nur in deutsch, in keiner anderen Sprache. Die Übertragung vieler Stücke ist schwierig. Auf holländisch wird vieles komischer, denn ich habe in der deutschen Sprache nicht soviel Raum."

Und wie kommt die Musik zum Text? "Ich schreibe immer zuerst den Text, die Musik brauche ich nicht zu bedenken, sie ist immer da. Das ist wirklich ein Segen."

Oft gelingen ihm so nette Übertragungen, vom Großen ins Kleine und umgekehrt, wie man es von guten Clowns kennt. Wie entstehen denn solche Vergleiche, und kann man das trainieren? Van Veen antwortet mit einem Beispiel: Im Funkhaus habe er eine Ausstellung gesehen über die Nazizeit und Frankfurt, und ein Bild von einem Mann mit dem Hitlergruß habe ihn sehr bewegt. "Dann bin ich ins Auto gestiegen und habe aufgeschrieben: ,Als Baby habe ich mich dafür entschieden, bei meinen Eltern zu bleiben, denn wenn ich anders entschieden hätte, wäre ich vielleicht diesem Typ begegnet.' Das ist Clowns-Denken: Das macht es möglich, daß ich über diese Thematik spreche, und es macht möglich, zu erklären, daß ich als Baby schon ein Bewußtsein gehabt haben könnte. Denn für mich als Clown ist es so, daß ich meine Eltern gewählt habe, und ich habe gut gewählt. Es wäre für mich viel komplizierter, zu begreifen, daß meine Eltern mich gewählt haben."

Wenn man in die Zuschauermenge schaut, dann fragt man sich manchmal, ob es nicht für die Zuschauer auch wichtig sein könnte, einem engagierten klugen Menschen zuzuhören und dabei selbst ein wenig engagierter und klüger zu werden. Wer sind denn Herman van Veens Zuschauer? "Nun, es gibt uns in der deutschen Öffentlichkeit gut 20 Jahre. Und im Fernsehen war ich eigentlich nur für Kinder zu sehen. Für Erwachsenensendungen bin ich zu kompliziert. Es ist mir noch nie gelungen, eine Sendung unzensiert ins Fernsehen zu kriegen. Für das große Publikum bin ich der Mann, der für Kinder singt und Dinge tut für Kinder, wie ,Alfred Jodokus Quak'. Das ist verwirrend, denn die Konzerte sind eigentlich sehr realistisch und sehr hart. Und das Publikum ist verwirrt, denn eine Hälfte kommt vielleicht, um diesen Kinder-Mann zu sehen, und die andere Hälfte kommt, um einen Schritt weiterzukommen, mit sich."

Schon vor zwölf Jahren ist er in der damaligen DDR aufgetreten. Was hat sich dort seitdem an der Reaktion auf ihn geändert? "In der DDR wußte man wahnsinnig viel von wahnsinnig wenig, und im Westen wußte man wahnsinnig wenig von viel. Das ist das Interessante an dieser Situation, man sieht jetzt, daß beides wie Wasser und Milch ineinanderfließt. Man gewinnt natürlich und verliert einiges, aber ich bin mir nicht sicher, ob das, was man gewinnt, nur schön ist. Viel menschliche Zivilisation befindet sich im Osten, viel ökonomische Situation im Westen. Das ist bei den Konzerten oft auch so. Manche wagen nicht zu lachen, weil sie Angst haben, etwas zu verpassen."

Welche Fortschritte macht denn das Entwicklungshilfeprojekt Columbine? "Columbine war die Frau von Harlekin, unsere Projekte betreffen immer Mutter und Kind. Es sind kleine Projekte weltweit, und sie versuchen immer, die Lage von Müttern und Kindern zu verbessern - auf deren Art, so wie sie das wünschen. Viele Entwicklungshilfe-Organisationen versuchen ja, unser westliches Wissen weiterzuverbreiten. In Holland versuchen wir gerade, ein Columbine-Haus für Flüchtlinge zu bauen, damit sie sich für neue Schritte stärken können. Und wir arbeiten immer mit anderen Organisationen zusammen, etwa mit Unicef oder ,Plan 90' oder ,Ärzte ohne Grenzen'."

Wieviel Geld kommt da übers Jahr zusammen? "In Holland werden es zwischen anderthalb und zwei Millionen Mark sein. Das ist nicht wenig, denn wir sind eine ganz kleine Organisation, und die Mitarbeiter werden nicht bezahlt." Woher nimmt er neben allem anderen noch die Zeit dafür? "Von den Konzerten in Potsdam war beispielsweise eines für Indianer, das hat etwa 50 000 Mark erbracht. Und das letzte Konzert, das ich jetzt in Deutschland gebe, ist dann wieder für Unicef. Ich gehe auch in Schulen, plaudere mit Kindern und sammele. Wir wollen Beispiele geben: Wie kann ich etwas tun, wenn ich etwas tun will?"



DIETER RÖMER