Inge Wünnenberg schrieb am 27.04.1998 in der Frankfurter Allgemeine Zeitung

Albernheiten eines schwermütigen Clowns



Humor ohne Grenzen: Herman van Veens Gastspiel im Großen Saal der Alten Oper Frankfurt

"Warum werden Flugzeuge immer in der Luft gekidnappt?" fragt Herman van Veen seinen Kollegen Erik van der Wurff. Der Pianist, der extra für diese Nummer auf die Vorderbühne gekommen ist, blickt ausdruckslos zum Sänger auf und schweigt. "Weil sie dann kleiner sind", witzelt van Veen. Immer noch keine Reaktion. Eine Erwiderung sieht das Programm offensichtlich auch nicht vor. Damit würde van der Wurff die geplante Pointe zerstören: "Seit 25 Jahre versuche ich, ihn zum Lachen zu bringen", klagt der niederländische Barde im Großen Saal der Alten Oper Frankfurt.

Van Veen bleibt sich auf seiner "Nachbar"-Tournee weitgehend treu. Immer noch springt er zwischen Clownerien und Statements, die seine Zuschauer aufrütteln sollen, hin und her. Nur triefen seine zeitlosen Lieder, bei denen er von Thomas Dirks (Bass und Gitarre), Nard Reijnders (Saxophon, Klarinette und Akkordeon) und Erik van der Wurff begleitet wird, vor Melancholie: "Warum gerade ich", klagt ein Mensch, ohne dass klar wird, ob er ernsthaft krank oder nur ein an Weltschmerz leidender Hypochonder ist. Und "Ich lieb' dich noch", van Veens Version eines Chansons von Jacques Brel, verstärkt diese resignative Stimmung.

Verhaltenes, verzagtes Engagement demonstriert van Veen in neuen Liedern. "Mir bleibt verwehrt und unbekannt, was euch bewegt, weil ich verwunschen bin", heißt es im Refrain von "Fatima Morgana", das ihm sein Freund Heinz Rudolf Kunze geschrieben hat. Eine gläubige Muslimin schildert ihr Leben in einer ihr fremden Kultur. Leider ist der Text nicht frei von Widersprüchen, denn Kunze hat alle möglichen Befindlichkeiten verarbeitet, ohne auf die Plausibilität der Figur zu achten. Gedanken wie "Die Männer haben ihren Krieg. Verlieren sie, bleibt noch der Sieg über das Fleisch der Frauen" riechen nach dem Problembewusstsein des Poeten im Elfenbeinturm, der über das Leben und die Sorgen von denen da unten Bescheid zu wissen glaubt, ohne beides kennengelernt zu haben.

Fatimas Geschichte ist nur eine von vielen, die an diesem Abend zur Sprache kommen: Van Veen erzählt von seinem Nachbarn, dessen Frau mit Anfang Vierzig an Krebs starb; er singt vom jüdischen Magier Ben Alibi, der im Konzentrationslager umkam, und schlüpft in die Rolle eines Profiradfahrers, der von seinem großen Rennen erzählt, bei dem er nur knapp scheiterte - an einem Igel.

Die Stücke van Veens sind einem steten Wandel unterworfen. Die Arrangements ändern sich von Konzertreise zu Konzertreise. Was früher harmonisch war, klingt heute schräg und dissonant. In "Anne" muss sich van Veen nicht nur gegen den allzu kraftvoll aufspielenden Pianisten durchsetzen, sondern singt auch hartnäckig gegen die Melodie an. Vehement interpretiert er an diesem Abend Brels "Marieke", leiser und zurückhaltend hingegen - mit seiner unvergleichlich weichen Stimme - Friedrich Holländers "Wenn ich mir was wünschen dürfte". An der Geige begeistert der Entertainer mit wilden Wirbeln, die an jüdische Tanzmusik erinnern.

Doch dann geht es schon wieder weiter. Die rasche Abfolge von traurigen Schicksalen, sozial-kritischen Alltagsbetrachtungen und platten Albernheiten beherrscht das tendenziell schwermütige Programm. Die Gags wirken weit weniger versponnen als früher: Van Veen krempelt etwa die Hosenbeine hoch, stakst in schwarzen Pumps über die Bühne und singt sein Lied vom "Busen". Wie er bei einer Frau sein wird, könne man dem kleinen Mädchen nicht ansehen, räsoniert der Sänger, und später kämen ihnen die Zweifel: "Ich habe den verkehrten Busen - Alpenland in Amsterdam." Der 53 Jahre alte Barde mag es inzwischen derber. Sein Humor kennt keine Grenzen.

Nach dem Konzert dirigiert er gekonnt den Applaus, um anschließend die ersten Reihen kräftig aus seiner Mineralwasserflasche zu bespritzen: "Hast du 70 Mark bezahlt und kommst pitschnass nach Hause", juxt er. Herman van Veen lässt wirklich nichts aus.



INGE WÜNNENBERG