Dieter Römer schrieb am 27.02.89 in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung...


Der höhere Sinn im Unsinn

Herman van Veen auf Tournee


Die Relationen sind verschoben, alles ist entweder zu groß oder zu klein: die winzige deutsche Fahne, beinahe ein Wimpel, den eine niedliche Windmaschine ins Flattern bringt, dagegen die holländische Flagge, die der Clown in der viel zu weiten Jacke nur mit Mühe schwenkt. Da liegt ein riesiger aufblasbarer Ball auf der Bühne, andere Dinge sind so klein, daß die Zuschauer sie sich vorstellen müssen. Das Mikrophon hängt einmal viel zu hoch, dann wieder zu niedrig, nur die Gebete für die kleinen gehen in Erfüllung - hier die Bitte um einen Kleiderbügel, der sanft von der Decke herunterschwebt. Schließlich betritt sogar ein ganz kleiner Herman van Veen die Bühne, eine Handpuppe, die dem Original bis hin zur Halbglatze gleicht.
Der singende Clown Herman van Veen versetzt sein Publikum abwechselnd in die frühe Kindheit, wenn die Umgebung zu groß und gewaltig ist, und in das Dasein des abgeklärten Erwachsenen, der seine Welt als klein und beengend erfährt. Zwischen diesen Polen gibt es nur noch den alltäglichen Wahnsinn, aus dem ein Clown ja gern zur Flucht verhilft. Durch die Vergröberung oder Verniedlichung schafft der Spaßmacher jene Distanz, von der aus das Publikum sich selbst besser erkennen kann.

Der dreiundvierzigjährige Holländer vereint gesangliches, pantomimisches und schauspielerisches Talent. Er erzeugt bei seinem ersten von zwei Auftritten in der Frankfurter Alten Oper einen Schwebezustand, pendelt rastlos zwischen Ulk und bitterem Ernst. Van Veen spielt ein Telefonat nach, mit seinem Kind, dem er die Angst nehmen will, mit seiner Frau, vor der er einen Seitensprung rechtfertigen muß, und mit seiner Mutter, der er sagt: "Die meisten Deutschen sind hierzulande, sehr nett zu uns, und es sind viele Amerikaner da, die die Leute bewachen". Plötzlich wechselt die Stimmung, der Gefühlswärme folgt der kalte Guß. "Das Wasser tobt, die Erde bebt, es gibt kaum einen Baum, der lebt - don´t worry, be happy".

Beinahe drei Stunden dauert die Vorstellung des fleißigen Entertainers, der mitunter waghalsige Balanceakte am Bühnenrand riskiert. Es ist auch faszinierend mitanzusehen, wie viele unterschiedliche Bedeutungen er in das Kompliment "You are so nice" legen kann, das anbiedernde Gehabe eines "Popstars". Herman van Veen ist auch hier bündig, weil er mit subtilem Humor aus Kleinigkeiten schöpft und einen höheren Sinn aus dem Unsinn hervorbringt. Seine drei Begleiter auf Keyboards, Baß und Saxophon fügen mit Chansons, Bar-, Tanz- und Popmusik weitere Farbwerte dazu, musikalische Sprache, Texte, Gestik und Mimik ergänzen sich in einigen Passagen auf ideale Weise.

Bei aller Sympathie, die man Herman van Veen beinahe zwangsläufig entgegenbringen muß, will man nicht als kalt und unsensibel gelten, wirken manche seiner Scherze inzwischen abgenutzt. Der unvermeidliche Pingpongball, der aus der Tasche in den Mund und zurück in die Tasche wandert, die ausgewrungene Weinflasche; Das ist wegen der Vorhersehbarkeit längst nicht mehr komisch. Überhaupt fehlt seinem Programm diesmal die Straffheit und Geschlossenheit früherer Jahre. Der zweite Teil, der auf viele Zugaben hin ausgelegt ist, hat enorme Längen, einige Klamaukszenen und derbe Späße zeigen einen neuen Herman van Veen, eine gröbere, plakativere, lautere Kleinkunst. Wenn er dann wieder leiser und nachdenklicher wird, gelingt es ihm freilich häufig, die Situation zu retten.



DIETER RÖMER