Michael Herl schrieb am 26.11.01 in der Frankfurter Rundschau

Das Lied vom traurigen Engel
Herman van Veens Auftritt in der Alten Oper



Herman, warum tust Du das?

Es begann so verheißungsvoll. Zum Intro ein Stück der griechischen Komponistin Eleni Karaindrou. Der Frau, die Melancholie und Schwermut mit der Zartheit ihrer Töne in so prachtvolle Kleider zu hüllen vermag wie kaum ein anderer Mensch. Die eine Musik schreibt, in der nie die Sonne scheint, in der man sie aber auch nie zu vermissen wagt. Eine Musik, die deswegen so wohl tut, weil sie so tief ins Seelenleben schmeichelt, ohne so furchtbar deutsch und dramatisch zu sein. Und deswegen auf eine so angenehm mediterrane Art weh- und schwermütig macht.

Dieses kleine Stück zu Beginn, es entfachte so wohlig Lust auf mehr - zumal, wenn man weiß, dass Du, Herman, genau so fühlst, denkst, bist. Ein Mann, der sich in seinen Liedern wünscht, "dass Leid für mich zum Glück wird und Glück zu frohem Leid". Doch das kleine Stück, es platzierte die Messlatte des Abends auch reichlich weit oben. Zu weit nach oben.

Herman, warum tust Du das? Stehst mit diesen brillanten Musikerinnen und Musikern auf der Bühne. Wieke Garcia an der keltischen Harfe und den Percussioninstrumenten. Edith Leerkes an der Gitarre. Jannemien Crossen an der Geige. Thomas Dirks am Kontrabass. Und Erik van der Wurff am Flügel. Man merkte ihnen an, wie sie mit allem, was sie an Herz und Gemüt zu bieten haben, bei der Sache sind. Bei der Berufung. Spielst Deine herrlichen Lieder mit ihnen, singst Deine herrlichen, poetischen Texte. Singst von alternden Engeln, die sich darüber beschweren, dass sie in der heutigen Ich-Gesellschaft nicht mehr gebraucht werden, weil keiner sich mehr helfen lassen will. Singst von den Grachten in Amsterdam, auf denen "Papierboote aus Sehnsucht Richtung Süden fahren". Godverdoeme, was ein schöner Satz! Singst vom einsamen Dichter, der, immer dann, wenn ihm Bilder kommen und Wörter, zu wachsen anfängt, und "wenn die Geschichten blühen, wird er ganz ihr Beet".

Es hätte so ein schöner, so ein tiefer Abend werden können. Hättest Du ihn nicht zerstört, Herman. Hättest Du uns nicht Deine wunderbare Musik in dieser Lautstärke in die Ohren geblasen. Lieber wäre uns statt dessen der Inhalt Deiner Sätze in Mark und Bein gefahren.

Doch, schlimmer noch: Warum, Herman, diese blöden Witze? Warum dieses Stammtischgefasel um die Bluse der Geigerin, die sie doch endlich mal öffnen soll, um ihre "zwei gesunden Titten" zu zeigen? Warum das lange Rumgehampel als Balletttänzerin? Das kann Otto besser, zumal der nicht den Anspruch hegt, ein Meister der Schönen Künste zu sein.

Warum also tust Du das, Herman? Weil das Publikum so unendlich tobte? Aber es gibt Menschen, die toben immer, wenn man das Wort "Pimmel" auf der Bühne ausspricht. Wäre es nicht eine viel größere Aufgabe, die Zuhörer mit der Tiefe der Worte und dem Klang der Musik in den Bann zu ziehen? Gut, es würde dann nicht johlen wie in einem Comedy-Club auf Pro 7 - doch muss das denn sein?

Oder ist es wahr, was Du in dem Lied über die traurigen, alternden Engel singst: "Was heute läuft, ist kompliziert. Wir blicken nicht mehr durch. Die Menschen sind ins Nichts verliebt und vögeln ihre Furcht". Durchsetzt Du deswegen Deine Tiefe mit Leere? Wechselst von Poesie unversehens in den Klamauk? So dass nicht eine Sekunde Zeit bleibt, die Worte auch wirken zu lassen? Ist es ein Vögeln der Furcht, weil da die Verzweiflung ist, auch von dem letzten Hannebambel noch geliebt zu werden? Ist es gar, wie die Amerikaner über erfolgheischende Künstler sagen, ein "raping the public", ein Vergewaltigen des Publikums? Oder willst Du dem als Bauernfänger von hinten durch die Brust ins Auge etwas Anspruchsvolles einimpfen? Allein, uns fehlt der Glaube.

Eleni Karaindrou, schreibt die Musik für die Filme des griechischen Regisseurs Theo Angelopoulos. Dessen Werke taugten nicht für die Masse, sie machten keine Kasse. Ist das der Grund, Herman, warum Du das tust?