Paul Badde schrieb am 26. März 1982 in der FAZ




Ein Clown, ein Harlekin, ein kahler Sänger

Hermann van Veen auf Tournee


Hermann van Veen ist ein vielseitiger Künstler. Mag sein, dass dies vielleicht eines seiner größten Probleme ist, mag sein auch, dass man ihn wegen der Anzahl seiner Platten immer noch vor allem für einen Liedermacher hält. Lieder zu machen aber, das beweis der 37 Jahre alte Holländer auf seiner jüngsten Deutschlandtournee recht eindrucksvoll, ist sicherlich eines seiner schwächeren Talente. Seine Vorstellung in Frankfurt war stärker als seine Lieder.
Er ist durchaus kein Amateur, aber von einer bemerkenswerten Ungeordnetheit in all seiner Professionalität. Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, dass die vielfältigen Stärken und Talente des Künstlers ihn mehr treiben, als dass er sie zu kontrollieren und kanalisieren vermöchte, dass er manche Elemente nur deshalb in sine Vorstellung einsetzt, weil er sie so gut beherrscht.

Man versteht manches nicht so recht, die vielen kryptischen Symbole beispielsweise, mit denen er häufig zu spielen scheint. Oder warum er Reis werfend durch die Saalmitte auf die Bühne kommt und dann auch in den folgenden zwei Stunden immer weiter Reis aus den Taschen seiner weißen Hose fördert, um die Besucher unter ihm damit einzusegnen.
Wo man hingegen alles versteht, versteht man schnell zu viel. Er ist perfekt im Deutschen, aber man hört, dass diese Sprache in ihren Nuancen nicht seine Muttersprache ist. Aber das verstärkt nur - wie bei seinen populären Kollegen aus der Fernsehbranche - den Charme seiner vielen parodistischen Einlagen, verleiht bisweilen aber auch seinen ernsthaften Zielen unfreiwillig komische - oder auch hölzerne - Züge.
Beispielsweise, wenn ihm in Liedern von offenkundig poetischerem Ehrgeiz solch sperrige Wortmonster wie "Orientierungshilfe" nahezu zärtlich über die Zunge gehen. Unübertrefflich ist er hingegen, wenn er holländisch singt oder russisch oder in einem ähnlich selbstgebackenen "deutschen" Kauderwelsch, in dem der "Große Diktator" in dem gleichnamigen Film schon einmal seine besten Reden hielt.

So ist es wohl auch nicht die Musik, die Hermann van Veen möglicherweise noch einmal unvergesslich machen wird. Die Musik ist kaum mehr als zurückhaltende Chansonbegleitung: Flügel, Baß, Saxophon, manchmal ein Akkordeon. Und es können nicht die Texte sein: Zeilen und Lieder wie "Ich hab ein zärtliches Gefühl", "Die Hand des Schicksals mischt oft seltsam die Karten", ...der harte Zug um deinen Mund hat auch seinen Grund" oder "Da war ein Mann, der wollte so gerne nicht mehr leben" kann man unbedenklich und ungeachtet des aktuellen Beifalls ein ebenso kurzes Leben prophezeien wie mancher Moral, die sie transportieren ("Seltsam ist, dass die, die sich nach innen so verfeinern, nach außen so versteinern").
Van Veens Größe liegt wo anders. Er besingt sie einmal treffend so: "Ich bin ein Clown, ein Harlekin, ein kahler Sänger". Tatsächlich gleicht er Grock. Er ist ein glänzender Pantomime, der sich immer wieder von der Fülle seiner Stimme betören lässt.

Als Clown aber ist er verrückt, obszön, herrlich meschugge und todtraurig. In seinen Slapsticks, seinen Bewegungen, seiner Mimik und Gestik - auch zu seinen Liedern - kommt er spielend überall dort hin, wo die gewähltesten Worte nie hinreichen könnten, mitten hinein in lebendige Bilder. Mit seiner Körpersprache bewegt er sich nahezu frei. Immer wieder gelangt er mit ihr in den Grenzbereich, wo Kunst und Wirklichkeit sich mischen. Als Clown ist er faszinierend.

Da bläst er eine pathetische Fanfare, die in ein irrsinniges Hühnergegacker übergeht, malt beschwörende Figuren in die Luft - große weite Zauberkreise -, erzählt Geschichten in einer unbekannten Sprache nur mit einer Hand, trommelt auf seinem Herzen, auf seinem Kopf, tobt, spuckt, verfällt in Trance, in Zeitlupe, in alle möglichen Gesichter und dann wieder in die starre Ausdruckslosigkeit eines zerbrechlich gläsernen Blicks, ganz wesensfremder Pierrot, Geschöpfe aus einer anderen Kunstwelt. Ein anders Mal erzählt er mit seinen Händen eine Geschichte, mit seinem Kopf eine zweite und dem Körper eine dritte andere - gleichzeitig.

Einmal sagt er: "Jetzt bin ich ein Mädchen." Und dann ist er ein Mädchen, wippend, tänzelnd, vierzehn, fünfzehn oder sechzehn Jahre alt - um urplötzlich in ein dröhnendes russisches Sauflied auszubrechen. Dann wiederum wird er in einen gewalttätigen Streit von Zuhältern verwickelt, virtuos in allen Drohgebärden düsterer Straßen.

Er muß ein wunderbar genauer Beobachter sein, mit Momenten beklemmender Ausdruckskraft: nie gibt er zu erkennen, was Maske und was sein Gesicht ist. Nur einmal scheint er sich völlig preiszugeben. In jener Szene nämlich, wenn er hinter einem großen Netz am Ende der Bühne verzweifelt nach einer vor im liegenden Violine zu greifen und sie dann schließlich - durch das Netz hindurch - zu spielen versucht. Ganz dunkel ist es dabei und fast ganz still in der großen Alten Oper. Nur hoch oben im Raum hört man leise zartes Vogelgezwitscher. Van Veen weint nicht, er ist stumm, aber wird doch so geschüttelt wie Anthony Quinn, als er damals das Ende von "La Strada" erreichte.



Paul Badde