Rainer Langholz schreef 25 oktober 1997 in de Kieler Nachrichten


Alte Stories, heut' verwirrt




Der Mann aus dem Land, in dem die Kirchen die höchsten Berge sind, ist wieder in deutschen Landen unterwegs und läßt auch Kiel nicht außen vor. Herman van Veen, Klamotteur mit Hintersinn, hat sich optisch wenig verändert in den vergangenen zwanzig Jahren - und scheint doch ein wenig müde geworden zu sein. Zwar ist er keineswegs lahm, er stolziert und stakt - auch mal auf Pumps - auf der Bühne herum, zappelt und hampelt wie ehedem an passender Stelle, und stimmlich ist er - wie ein Schubert-Lied eindrucksvoll belegt- vielleicht noch kompetenter, voluminöser geworden. Und doch, das neue "Nachbarn" -Programm bot gestern abend in der Ostseehalle nichts Überraschendes mehr.


Die politische Bissigkeit ist ' harmloser geworden, die Sensibilität gleichgültiger. Oh ja, van Veen hat seine großartigen Momente, wenn er - perfekt gestützt von den langjährigen Weggefährten Erik van der Wurff am Piano und Nard Reijnders an den Saxophonen - zum Beispiel den Friedrich-Hollaender-Song "Wenn ich mir was wünschen dürfte" interpretiert. Seine Arien-Parodie ist amüsant; seine anständig-anzüglichen Wortspielereien großenteils humorig. An den Chansons Jacques Brell scheint er zunehmend einen Narren gefressen zu haben: "Ma-rieke" und "Ich lieb' dich noch" sind eindrucksvolle Zeugnisse Veen'schen Verstehens.

Das "Nachbarn"-Motto der Tour zieht sich leise und doch konsequent durch den Abend: Deutsche und Holländer, Ausländer und Einheimische, Mütter und Freunde, Gudrun(!). Und ohne Murren steht er - da vom Publikum erbarmungslos gefordert - die fast drei obligatorischen Stunden auf der Bühne durch.

Doch über alles macht es den Eindruck eines Pflichtprogramms. Die Geschichten, die er erzählt, sind nur minimierte Variationen alter Stories. Sein Herumkaspern, gespickt mit Ernsthaftigkeit, ist nicht mehr so elektrisierend wie ehedem. Der Abend, mehr oder weniger ein Konglomerat früherer Erfolgsrezepte, schleppt sich mehr hin, als daß er richtig mitreißt.

Das gelegentliche Verstreuen von Papierschnitzeln, einst als passender Gag eingebaut, ist zum Selbstzweck mutiert. Die einstige geniale Persiflage aufs Disco-Zeitalter und seine Protagonisten ist zu einem müden Abgesang auf einen alternden Rock'n'Roller verkommen. Daß er aber auch eine hingebungsvolle, anrührend-auffordernde Lieddarbietung wie "Worauf warten wir" dagegensetzen kann, versöhnt - fast. Denn dann wieder läßt der 52jährige sich - regelrecht beifallheischend - feiern, und das ist offenkundig nicht selbstironisch gemeint. Die früher so unvergeßlichen Abende mit Herman sind verwirrend geworden.



RAINER LANGHOLZ