Wolfgang Elbers schrieb am 25.04.01 in den Osnabrückern Nachrichten

Wahrheit ist viel besser zu begriefen, wenn sie klingt



ON: Ihr neues Programm hat den Titel "Was ich dir singen wollte" Was erwartet die Fans, und wie greift Herman van Veen dem Publikum diesmal in die Seele?

Van Veen: Ich bin diesmal mit 6 Musikanten unterwegs, und natürlich ist Eric van der Wurff mit dabei, mit dem ich inzwischen, 35 Jahre zusammen- arbeite. Die Gruppe hat sich im Laufe der letzten 6 Jahren um 2 Geiger, einen Gitarristen und einen Percussionisten erweitert. Das war ein sehr natür-licher Prozess. Eine Besetzung ist wie das Leben selbst: Ab und zu muss man einen Still-stand haben, bevor es Veränderungen gibt. Wir haben zum Beispiel unseren früheren Gitarristen durch Krankheit verloren, und es hat lange gedauert, bis wir mit einem neuen Mann arbeiten konnten . Es ist hart, wenn du weißt, dass jemand um sein Leben ringt, und du singt fröhlich mit einem ande-ren an seiner Stelle weiter. Das ist vielleicht praktisch, aber nicht. sehr gesund, und es tut weh. Wir haben jetzt buchstäblich den Frühling auf die Bühnegeholt. Ein Kritiker hat über unser Programm geschrieben: Clowneske Eroberungen im leisesten Sturm. Die Wahrheit ist viel , besser zu begreifen, wenn sie klingt.

ON: Klingt beim Tourmotto ein wenig das Gefühl mit, nicht mehr alles zu schaffen, was man sich als Künstler vorgenommen hat? Kritiker haben bei der letzten Konzertreise schon resignative Töne konstatiert.

van Veen: (lachend) Die müssen dann noch einmal in die Konzerte kommen. In dem angesprochenen Lied, das ich quasi als Eröffnungssong singe, werden Vergleiche gemacht, dass zum Beispiel Schopenhauer und Nietzsche lieber Musikanten gewesen wären als Wissenschaftler und Genies. Wir haben als junge Menschen die Wahl getroffen, Musik zu machen, weil das unser Wunsch und Ziel war. Das ist immer noch so unbeschreiblich klarer sein als Statemens mit einem intellektuellen Hintergrund. Es beweist sich immer wieder, dass Wissen etwas bewegliches und Lebendiges ist, auch wenn es gesellschaftliche Gruppen gibt, die alles lieber konservativ und dogmatisch sehen, keine Veränderungen wollen. Das ist auch eine sehr politische Sache.

ON: Sie haben einmal in einem Interview gesagt: Der gelebte Tag ist reicher als jeder, verbalisierte Gedanke daran. Was ist für Herman van Veenein schöner bzw. perfekter Tag?

van Veen: Das hat immer mit meinen Kindern zu tun. Wenn sie mich anrufen oder sich melden und ich hören kann, wie es ihnen geht. Glück waren für mich auch meine Eltern, die beide letztes Jahr gestorben sind. Mein Kummer hat auch etwas sehr Schönes - das tut so schön weh. Du weißt, der Schmerz ist da, weil du diesen Menschen so geliebt hast. Ein schöner Tag ist für mich aber auch, in kleinen Dingen etwas zu sehen. Ein gut gemachter Cappuccino oder ein kalter Schnaps in einem angefrorenen Glas - das sind alles kleine Glücksbestandteile.

ON: Wie halten Sis sich fit, und was gibt Ihnen die Frische, sich immer wieder neu zu engagieren?

van Veen: Die Auftritte halten mich fit, und ich sehe unheimlich viel Sport im Fernsehen. Das stimuliert auch. Aber ich bin kein Konditionsfanatiker. Ich versuche gut zu schlafen, nicht allzu viel zu trinken, Stress fern zu halten und gut zu essen. Insgesamt bin ich nicht übertrieben fitness-süchtig, aber auch nicht undiszipliniert.

ON: Sie haben den Ruf ein künstlerischen Perfektionisten, der Pannen hasst. Haben Sie generell am liebe alles unter Kontrolle?

van Veen: Ich glaube, ich sehr realistisch. Das muss man als Künstler auch sein, denn wir arbeiten sehr strukturell. Eine schöne Melodie ist immer unterbaut und kein Zufall. Da wird alle Tage knallhart dran gearbeitet, dass die Kleinigkeiten stimmen. Mein Anliegen ist, dass alles miteinander zu tun hat und aneinander gebunden ist. Holland und Deutschland zum Beispiel: Das eine geht nicht ohne das andere, und wir haben erst eine Zukunft, wenn wir das respektieren. Das sind die Dinge, die mich faszinieren - egal, ob der Natur, in der Kunst oder in menschlichen Verhältnissen

ON: Was halten Sie von den aktuellen Unterhaltungstrends und reizt es sie nicht, einmal etwas ganz anderes zu machen?

van Veen: Ich bewundere zum Beispiel Rapper. Unsere Zeit hat gigantisch komplexe Aspekte, aber es gibt auch einen reichen Underground. Es gab zum Beispiel noch nie eine so interessante Kleintheater-Szene. Selber zu rappen wäre kabarettistisch, aber damit habe ich nichts zu tun. Dafür respektiere ich diese Kunst zu sehr. Ich habe früher gesungen: Jesus ging über das Wasser, weil er dem Wasser so vertraute, dass er nicht sinken konnte. Und es hat mit dieser Metapher zu tun, dass ich realisiere, dass ich eine Schwimmweste habe. Ich mache nie Schluss. Das wird für mich entschieden. Singen ist mein Ding und ungefähr das Schönste, was ich tun kann. An Ideen mangelt es mir überhaupt nicht. Ich habe zum Beispiel heute Morgen etwas aufgeschrieben, von dem ich sicher bin, dass das ein Lied wird. Es geht um einen Freund, der einen Verkehrsunfall hatte, und ich frag ihn: Wie ist es da oben? Kannst du nicht Zeichen geben, was ich erwarten kann? Ich mache mir täglich irgend welche Notizen, für ein Lied, für ein Buch oder eine Filmidee, Ich schreibe auch Tagebuch, was allerdings nicht so romantisch ist, wie es klingt. Aber ich will Momente auf irgendeine Art behalten.



Wolfgang Elbers





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