Jens Frederiksen schrieb am 25.01.2002 in dem Tageblatt - Allgemeine Zeitung Mainz -

Troubadour mit Melone und Schirmgerippe



Was ich dir singen wollte": Hermann van Veen mit vierköpfiger Band auf Deutschlandtournee

Und für jeden hat er eine Handvoll silberner Papierschnipsel in der Hosentasche ? für die Mitglieder seiner Band, fürs Publikum. Ein Glitzerregen zur Belohnung und Aufmunterung ? der Mann ist Literat, Magier und Dompteur in einem. Sein Auftritt hat sowieso mehr von einer poetischen Performance mit eingehängtem Musikteil als von einem Konzert im überkommenen Sinne.

Hermann van Veen, der holländische Liedermacher, Anekdotenausstreuer, Alltagsphilosoph, arbeitet live nie einfach nur sein Song?Repertoire ab. So auch. jetzt nicht bei seinem Gastspiel vor 1500 Zuschauern in der Mainzer Phönixhalle, das zu der Promotion?Tour für seine jüngste CD "Was ich dir singen wollte" gehört ? und doch allenfalls lose mit der Platte verknüpft ist

Nur vier, fünf Lieder stellen den Zusammenhang her. Aber auch den "Kleinen Fratz" die "Klitschnassen Clowns" und andere Hits von früher schickt er nicht auf den Weg. Das Meiste ist Teil eines ganz eigenen, wie für diesen Auftritt erfundenen Geschichten?Zusammenschnitts, in dem auch die fabelhafte, aus drei attraktiven Musikerinnen und einem Pianisten bestehende Begleitband immer mal wieder ?für Sketche von ihren eigentlichen Aufgaben weggelockt wird.

Hermann van Veen mit Melone und traurigem Schirmgerippe ? da ist er ein Bruder jener unsterblichen Beckett?Figuren, die bis zum jüngsten Tag auf Godot warten. Hermann van Veen als leidenschaftlicher Troubadour, dessen Hände sich auch schon mal sehnsüchtig zum Dekolleté seiner Geigerin bewegen ? da ist er der tollpatschige Kämpfer im Liebesdschungel.

Es gibt eine Mini?Oper mit inbrünstig zersungenem Mord, außerdem Witze und Erzählungen zuhauf ? deftige, verstörende, pointenlose. Und später, als der Sänger sich eine aus dem Ärmel gezauberte Feinripp?Unterhose über den Kopf stülpt und in dieser Verkleidung den Psychiater aufsucht, bricht der Anarcho?Clown in ihm durch, als der er in seinen frühen Jahren gern unterwegs war.

Dreh- und Angelpunkt sind natürlich trotzdem die Lieder. Die Themen sind die alten, die Texte nicht: die Liebe zu einer "O?beinigen Elfriede" wird besungen; die Ankunft des ersten Enkels inspiriert ihn zu dem nostalgischen Chanson "Kleiner großer Schatz"; und in "Für Marie Louise" lädt er einmal mehr die Orientierungslosen und Verlorenen zu sich ein: "Ich mach ein Zimmer für dich klar /Werd dir streicheln übers Haar." Dazu zupft die Band dann virtuos ein Gemisch aus Folk und Kaffeehaus?Gewalze.

Schönster Song des Abends freilich ist das Titelstück "Was ich dir singen wollte". Schopenhauer und Nietzsche spielen darin eine Rolle, die biografischen Splitter gehen über in ein Hohelied auf die besänftigende Wirkung der Musik und all das ist verpackt in eine süffige Melodie und einen mitreißenden Refrain. Vergnügen pur also Wer allerdings in seiner Euphorie zu der gleichnamigen CD greift, wird verwundert feststellen, dass just diese Komposition darauf fehlt. Ein Etikettenschwindel. Dem Konzert freilich tut das keinen Abbruch. Im Gegenteil: Es weckt eher das Verlangen nach mehr.