Sabine Wagner schrieb am 24.10.2005 in der Ostthüringer Zeitung - Gera




Harlekin und weiser Mann


Von OTZ-Redakteurin Sabine Wagner. Am 14. März ist er 60 Jahre alt geworden. Seit vier Jahrzehnten steht er auf der Bühne. Sonntagabend gastiert er mit seinem neuen Programm "Hut ab!" im Geraer Kultur- und Kongresszentrum und verzaubert fast drei Stunden lang eine treue Fan-Gemeinde.
Die applaudiert schon bei den ersten Klavierakkorden. Bevor sich der Vorhang hebt und Herman van Veen ins Scheinwerferlicht tritt. Hängt an seinen Lippen, als er mit dem Vater durch die Straßen von Amsterdam streift, lässt sich von den Zigeunerweisen seiner exzellenten Musiker mitreißen. Schaut irritiert, als van Veen die Ballade von den "Schularbeiten" unterbricht, weil die schöne Jann mit ihrer Geige seine Worte verschluckt. "Es ist total schade, wenn eins wegfällt", erklärt er im charmanten holländischen Akzent. Und beginnt erneut: "Sind deine Schulaufgaben fertig? Alles erledigt, mein Schatz, bevor du wieder einmal rumhängst auf dem Platz?" Die Frage der Mutter gibt er als Student an die Huren weiter, die ihm auf dem Straßenstrich begegnen. Und er stellt sie dem Foto einer jungen Amerikanerin in der Zeitung, die wenige Tage nach Beginn des Irak-Krieges auf einer Trage nach Hause reisen darf: "War´n deine Schulaufgaben fertig? Alles erledigt zack, zack, bevor du verwundet wurdest im Irak?" Holprige Verse, wenn van Veens Stimme dazu fehlt. Gibt er sie ihnen, geht seine Botschaft unter die Haut.

Projiziert man drei Dias übereinander - wie in dieser Ballade - entsteht ein viertes Bild. Bei van Veen, dem großen Menschenversteher, heißt es Mitgefühl. Das zieht sich wie ein roter Faden durch sein Programm und hat nichts mit Mitleid zu tun. Es gleicht einem Wechselbad der Gefühle, einer Achterbahnfahrt. Eben noch klagt der Sänger die Väter an, die sich den Krieg erklären und fragt: "Was haben euch die Kinder getan?" Im nächsten Moment imitiert er die Pan-Flöte, ulkt als Hermansan über die Bühne und hadert mit Gott. "Spreche ich mit ihm, nennt man das Beten, spricht er mit mir, heißt das Psychose."
Sein "Kyrie Eleison" klingt wie ein Choral und ist doch mit Weisheit, Witz und Ernsthaftigkeit allen Menschen gewidmet, für die er singt. "Wenn Holland gegen Deutschland spielt", sagt der bekennende Fußballfan, "sind die Kneipen voll. Kein Arsch auf der Straße, nicht mal im Rotlichtbezirk. Und die muslimischen Mädchen dürfen 90 Minuten lang tragen, was sie wollen."

Mal Harlekin, mal weiser Mann pendelt van Veen zwischen Heiterkeit und Melancholie. Und wenn er vom Philosophieren genug hat, reist er mit seiner Band musikalisch durch die Welt: Zigeunerjazz und spanische Folklore, jiddische Lieder und russische Volksweisen. Erik van der Wurff am Klavier, Edith Leerkes mit ihrer Gitarre, Jannemien Cnossen, die Geigerin, Wieke Garcia an den Rhythmusinstrumenten und Oleg Fateev (Akkordeon) sind nie schmückendes Beiwerk, sondern gleichberechtigte Partner, denen van Veen selbst applaudiert.

Das Multitalent aus Utrecht passt in keine Schublade. Er ist Autor, Comicfigurenerfinder, Clown, Geiger, Liedermacher, Poet, Sänger, Regisseur, Theaterschauspieler, Verleger. Und er reist als Botschafter für Unicef um die Welt. Jeder Hut, den er sich in Gera auf oder ab setzt, reicht für ein ganzes Leben.

Kein Wunder, dass ihn die rund 600 Besucher nicht ziehen lassen wollen. Nach der x-ten Zugabe klettert er von der Bühne und verabschiedet sich persönlich von seinen Fans. "Hut ab!" Herman van Veen.