Michael Loesl schrieb am 24.03.2001 in der Leonberger Kreiszeitung

Es zählt im Grunde nur ein nackter Augenblick



Herman van Veen gastiert am 31. März in der Leonberger Stadthalle - Ein Gespräch über die Geige und den Tod


LEONBERG
Die Geige hat er sich für das Tourplakat vor das Gesicht gebunden, und im Titel-Song zu seinem neuen Programm "Was ich dir singen wollte", heißt es: "Die Botschaft staubt so trocken, wenn das Wort allein sie bringt. Die Wahrheit ist viel besser zu ertragen, wenn sie klingt." Dass die Musik in seinen Konzerten einen größeren Raum als je zuvor einnimmt, ist nur eine von vielen Wahrheiten, von denen Herman van Veen in einer Woche auch in Leonberg erzählen wird. Nach zwei turbulenten Jahren im privaten Leben haben Traum und Wirklichkeit, Leben und Tod eine neue Bedeutung für den 55-jährigen Niederländer van Veen bekommen, wie er Michael Loesl erzählt.

Frage: In Ihrem neuen Programm spielt die Musik und speziell die Geige eine große Rolle. Können Sie sich inzwischen mit Hilfe der Musik besser artikulieren?

Herman van Veen: Musik kann oft sehr viel klarer sein als Worte. Was nicht bedeuten soll, dass die Texte in meinen Konzerten eine untergeordnete Rolle spielen. Ich wollte nur so unglaublich gerne wieder selber Geige spielen, wozu ich jahrelang keinen Mut mehr hatte. Ich war als Kind das Schlachtoper meiner Lehrer, die in mir ein gewisses Talent für die Geige gesehen hatten. Statt meine Freude an der Geige zu unterstützen, wurde sie mir aber durch den Drill genommen. Aber wenn Sie das aktuelle Tourplakat genau betrachten, sehen Sie auch, dass ich darauf nackt zu sehen bin.

Drückt die Nacktheit das Gefühl aus, das Sie nach dem Tod Ihrer Eltern in den vergangenen Jahren hatten?

Van Veen: Durch den Verlust meiner Eltern ist mir bewusst geworden, dass das Einzige, was zählt, im Grunde ein nackter Augenblick ist. Und dass die Materialisierung die größte Bedrohung für das ist, was wir sind. Wir umgeben uns mit allerlei Dingen, die eigentlich keine Rolle spielen. Je älter ich werde, desto klarer wird mir, dass ich im Begriff bin, dem Ende entgegenzugehen. Der Dematerialisierung. Das mag ein wenig pathetisch klingen, beschreibt aber den Zustand, auf den ich mit zunehmendem Alter zusteuere.

Wie hat Sie persönlich der Tod Ihrer Eltern verändert?

Van Veen: Ich habe ein völlig anderes Bewusstsein als vor einem Jahr. Der Tod meiner Eltern hat mein Leben revolutionär verändert. Ich bin das Gewissen meiner Eltern. Ich kann nicht schlechter sein als sie. Das kann ich mir gar nicht leisten, denn sie waren gigantisch lieb. Das ist eine Verantwortung, die ich gerne trage, auch wenn sie nicht leicht fällt. Ich kann sie jetzt in Konfliktsituationen nicht mehr anrufen. Jetzt muss ich alleine entscheiden.

Haben Sie deshalb eine Nummer in Ihrem Programm, die „Handy" heißt, in der Sie mit Ihren Eltern telefonieren?

Van Veen: Ja, darin führe ich über ein Handy ein virtuelles Gespräch mit meiner Mutter. Ich bin kein, religiöser Mensch mit einem Himmel, aber meine Eltern sind dort. Meine Eltern sind körperlich nicht mehr da, aber sie sind noch vollkommen in meinem System. Ich hab echt das Gefühl, dass es sich nicht mehr lohnt, die Gardinen zuzumachen, weil meine Mutter mich sowieso sieht.

Ist das ein schönes oder beunruhigendes Gefühl?

Van Veen: Es ist ein komisches, befreiendes Gefühl. Und es ist schön. Mein Vater kann es bestimmt noch gar nicht glauben, dass er jetzt dort ist, wo er ist. Der war fanatisch antireligiös. Entweder hat er einen Fluss gefunden, an dem er den ganzen Tag angelt, oder ihm begegnen indonesische Frauen, für die er immer eine Schwäche hatte. So stark, dass meine Mutter öfter sagte: „Jan, guck in die andere Richtung!" Nach den Verlust meiner Eltern habe ich eine Bühnennummer entwickelt, in der ich träume, dass ich mit Charlie Chaplin im Himmel bin. Ich verehre Charlie Chaplin.

Was macht ihn so verehrungswürdig?

Van Veen: Er war auf einem wahnsinnig intellektuellen Niveau in der Lage, uns an uns selber zu erklären. Er war für mich ein Visionär. In seinem Film "The Great Dictator" hat er uns doch schon in den dreißiger Jahren gezeigt, was uns mit Hitler in den Vierzigern auf entsetzliche Weise vorgeführt wurde. Von wegen, wir haben es nicht gewusst! Chaplin hatte es uns doch schon in diesem Film gezeigt. Und das mit so viel Humor und Liebe ...

Dann sind Sie in Ihren Konzerten Ihrem Vorbild sehr ähnlich.

Van Veen: Ich weiß nicht, ob ich sein Niveau jemals erreichen werde. Aber ich bin froh darüber, dass ich das tun kann, was ich auf der Bühne tue. In einer Zeit, in der alles sofort erklärbar sein muss, ist es manchmal gar nicht so leicht, mit Humor und Liebe oder auf poetische Art ein Publikum zu erreichen.

Warum spielen in Ihrer neuen Band außer Ihnen und Erik van der Wurff ausschließlich junge Musiker?

Van Veen: Das war nicht geplant. Aber seitdem wir zusammenspielen, ist eine völlig neue Energie in unserem Programm. Wir sind jetzt sieben Musiker auf der Bühne, von denen die Jüngste 22 Jahre alt ist. Es ist interessant und inspirierend zu erleben, mit welcher Freude an der Musik die Jüngeren in unserer Band arbeiten. Und durch Jannemien Cnossen, die bei uns begnadet Geige spielt, habe ich schließlich auch wieder Freude am Geigespielen bekommen. .






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