Monika Dänhardt schrieb am 23.03.2001 in Sächsische Zeitung

Genieße es, eine Schneeflocke zu sein



Der singende Erzähler Herman van Veen bekämpft seine Angst um die Welt mit Liedern

Wie oft der Niederländer Herman van Veen in der DDR zu Gast war, weiß er selbst, nicht mehr genau. Fakt ist, dass Deutschland immer schon zu seinen beliebten Tourneezielen zählte. Heute und am Sonnabend gastiert der Mann mit der besonderen Stimme im Dresdner Kulturpalast.

Sie traten vor der Wende und nach der Wende hier auf. Was hat sich verändert?

Äußerlich gigantisch viel. Da rollt Welle für Welle - da ist keine Zeit für Ebbe. Es ist ein Einholschlag, der aber wenig Respekt zeigt für das, was war. Denn hier gab und gibt es auch eine Natur.

Das ist das, was man sofort sieht. Wie aber steht es um die Menschen?

Da habe ich vier Erfahrungen gemacht. Als ich hier zum ersten Mal war, war ich extrem willkommen. Das hat mich tief berührt. Als dann die Mauer gefallen ist kam ich in ein Land, das in Verlegenheit war. Die Menschen saßen so atemlos im Saal. Das dritte Mal, als ich herkam, spürte ich, dass die Leute mit ihren Gedanken irgendwo anders waren. Jetzt bin ich wieder da. Und jetzt habe ich das Gefühl, dass die Menschen langsam wieder sie selbst werden. Aber - durchtränkt sind mit einer Melancholie. Die Reise führt nicht nach innen, sondern nach draußen. Das ist schade.

Wäre das Innere interessanter?

Ja, weil es da viel zu entdecken gäbe. Wenn die Leute in der DDR ein Buch hatten, dann kannten sie es. Jetzt haben sie viele Bücher, aber wozu sollen sie sie lesen. Diese ostdeutsche Erfahrung könnte für alle in Europa eine sehr große Bedeutung haben. Wenn man diese Geschichte auf eine Art und Weise vermitteln könnte, das wir daraus etwas lernen würden. Ohne Streit und- Übervorteilung.

Ist dafür der Zug nicht schon abgefahren?

Vielleicht. Ich bin Künstler geworden, weil ich so in einer Welt über leben kann, die ich als wahnsinnig empfinde. Eine Welt, von der ich weiß, dass sich die Geschichte wiederholt, weil man aus den Ereignissen nichts lernt. Das ist so enorm tragisch, dass die Toten, die es gegeben hat, noch mal sterben. Aber - es sieht anders aus. Krieg ist heute, wenn die Pharma-Industrie verweigert, dass Aids-Medikamente kostenlos in Afrika verteilt werden, weil das den Profit schmälert. Oder was mit der Umwelt passiert...

Maul- und Klauenseuche, BSE?

Viel unauffälliger. Das ist von einem Opportunismus, der nicht zu beschreiben ist. Wenn man in den Alpen Ski fährt und noch mehr Pisten baut für diese wunderschöne Sportart, realisiert man natürlich nicht, dass das Wasser irgendwohin fließt. Das ist zufällig Holland. Für Holland ist es eine Tatsache, dass wir ein Wasserproblem von einer Größe haben, die nicht mehr kontrollierbar ist. Statistiken beweisen, wir haben als Land keine Zukunft. Denn das Wasser kommt von allen Seiten. Bei uns pumpt man wie wahnsinnig. Aber das Pumpen sieht nicht aus wie Panik, es sieht nach großer Technik aus. Plaudere mal mit Leuten in Straßburg, in Köln - die Streifen vom Hochwasser wer-den immer. Aber man ge-wöhnt sich daran..

Trotzdem sprechen Ihre Program, davon , dass Sie die Menschen mögen?

Ja, sehr. Ich bin ja selber einer, und ich kenne viele wunderbare. Ich bin fest davon überzeugt, dass man millimeterweise etwas ausrichten kann. Ein Lied kann nicht die Welt verändern. Aber ich kann etwas singen, und ihr könnt damit etwas tun. Meine Aufgabe sehe ich darin, meine ehrlichen Fragen zu stellen, und das zu singen, was für mich persönlich wichtig ist,

Warum betonen Sie das Subjektive so?

Objektivität gibt es nicht. Für einen Eskimo ist Schnee etwas anderes als für einen Holländer. Ich kann euphorisch über Schnee sprechen, weil eine Schneeflocke nie der anderen ähnelt. Das ist unbeschreiblich schön und genial. Für mich ist nicht schwer zu begreifen, dass wir eine Chance haben, wenn wir das respektieren. Ein Holländer ist ein Holländer, ein Deutscher ein Deutscher, ein Italiener ein Italiener. Die Unterschiede sollen bitte bleiben. Aber die Welt „verhamburgert" und „vercolat". Alles muss in einen Topf passen. Alles muss Lego sein. Das einzige, was ich versuche zu singen, ist: Genieße es, eine Schneeflocke zu sein. Einmalig, aber auch vergänglich.

Welche Akzente setzen Sie jetzt in Ihrer Show?

Mit 55 artikuliert man sich anders als mit 30. Wenn man 30 ist, sucht man noch Schuldige. jetzt weiß ich, dass es an mir liegt, wenn die Schneeflocke nicht klar genug funkelt. Ich will nicht mehr sagen, das ist die Schuld der Politiker. Ich spreche nicht mehr darüber. Weil - ich wandere weiter. Ich lasse meinen Blick auf den Baum nicht mehr zerstören von einem, der die Schönheit der Schneeflocke nicht sieht. Und ich hoffe auf Weggefährten.

Auch durch das Lied von Jacques Brei auf jiddisch?

Das ist für mich eine Form, über eine verlorene Sprache zu erzählen. Ich möchte das Gefühl vermitteln, dass da was passiert ist. Da ist eine Sprach weg. Und das war eine lebende Sprache, sie war eine Reise, so wie eine Sprache sein sollte. Das ist weg. Und dann singe ich das für einen leeren Stuhl. Für mich ist das ,,dieses Bild: Es sitzen 2000 Leute im Saal, und er singt nicht für diese 2000, er singt für die Person jener Sprache die nicht da ist. Das ist eine Feststellung, kein Werturteil. Früher hätte ich, vielleicht, gesagt: Du! Jetzt sage ich: Ich!

Und Sie werden dabei von einer wunderbaren Band begleitet....

Die Band ist so, wie ein Baum wächst. Es gibt Wurzeln - Erik und mich. Zusammen sind wir 110. Ein ziemlich alter Baum. Dann ist Edith dazugekommen. Weil ich auf der Suche war, nach einer schwangeren Gittaristin. Ich habe ein Lied über eine schwangere Frau geschrieben, und ich wollte absolut begleitet werden von einer schwangeren Gittaristin. Also fing der Baum zu wachsen an. Dann hatte ich einen Schmerz. Ich kann gut Geige spielen, aber ich hatte den Mut nicht mehr. Das lag daran, dass ich immer meine eigene Musik spielen wollte. Aber das gefiel anderen nicht. Und da habe ich nicht mehr gespielt. Aber ich liebe die Geige. Da ich aber feige bin, habe ich jemanden gesucht, der mit spielt. Das war dann Jann. Und so weiter und so weiter. Heute sind wir schon ein schöner Baum.

Und was macht Ihr Sohn Alfred J. Kwack?

Er fragt immer noch: Warum? Und er bekommt nie Antwort. Der kann noch ein paar tausend Jahre fragen. Da gibt es kein Darum! Er ist eine eindimensionale Figur mit einer eindimensionalen Frage, die mehrdimensional und komplex ist. Es gibt diese Zeit in einem Kinderleben. Und das muss man sehr ernst nehmen. Denn bei der falschen Antwort bleibt nur ein Darum. Und dann entdeckt er auf seinem Sterbebett, dass es Darum nicht war. Ich möchte gerne weitere Folgen von Alfred drehen. Aber das ist teuer. Und immer, wenn es ums Geld geht, hat man mit eigenartigen Menschen zu tun.

Welche Pläne gibt es noch?

Ich sehe eine Änderung in meinem Leben. Europa kenne ich, und die Menschen kennen mich. Ich bin jetzt mehr und mehr auch in Afrika und in Amerika gefragt. Ich möchte immer wieder in Deutschland sein und in Holland. Aber ich bin auch noch offen für vieles.



Interview: Monika Dänhardt





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