Edith Fritschi schrieb am 22.03.02 in den Schaffhauser Nachrichten

Die Weisheit des Hofnarren



Herman van Veen begeisterte das Publikum im komplett ausverkauften Stadttheater mit einem packenden Programm.

"Die Wahrheit ist viel besser zu begreifen, wenn sie klingt", singt Herman van Veen. Stimmt. Und vor allem, wenn van Veen sie ausspricht. Der holländische Musiker, Clown, Pantomime, Entertainer und Schauspieler lockte das Schaffhauser Publikum am Mittwoch komplett aus der Reserve. Zum Schluss gabs Standing Ovations für den Künstler, der an charismatischer Ausstrahlung kaum zu übertreffen ist. So viel Bühnenpräsenz und Magie hatte wohl Jacques Brel, mit dem er auch sonst einiges gemeinsam hat. Aber was sollen die Vergleiche. Damit kommt man dem Phänomen van Veen nicht bei. Er besitzt das, was ein Künstler bei aller Begabung nicht lernen kann: die Liebe zum Publikum und zum Leben. Und was er auf der Bühne verkörpert, ist das pralle Leben mit all seinen Facetten: Lachen, Weinen, Jauchzen, Singen, Lieben, Leiden, Trauern. Das tut van Veen in seinen Liedern und Geschichten - und bewegt sich dabei, als ob er aus Gummi wäre.

Wenn er die Bühne betritt, springt der Funke über. Nach der Einleitung durch seine brillanten Musiker Erik van der Wurff (Piano), Edith Leerkes (Gitarre), Jann (Geige) und Wieke Garcia (Schlagzeug, Harfe, Dudelsack) kommt der Künstler, packt den Geigenbogen und tritt mit der Geigerin zum Bogengefecht an.

So, wie van Veens Texte zwischen Trauer, Wut, Melancholie, Humor und schwarzem Humor hin- und herpendeln und das Publikum mal zum Lachen, dann beinah wieder zum Weinen treiben, genau so changieren der Künstler und sein Ensemble zwischen den musikalischen Stilen. Klassisches steht im Wechsel mit keltisch-irisch angehauchten Weisen; plötzlich herrscht Flamencostimmung, und kurz darauf ist man im französischen Chanson.

"Was ich dir singen wollte" heisst das Programm, und das "dir" kann die Geliebte sein oder das Publikum, das mit Zwischenapplaus nicht sparte. "Amsterdam Süd, Flussviertel, Strassen strömen durch den Kopf": Da taucht van Veen in Erinnerungen ab, ebenso wie im Text, wo Vater und Sohn erstmals ins Badehaus gehen.

Van Veen scheut zutiefst persönliche Dinge nicht, und seine Texte, selbst wenn sie tabuisierten Zonen entlangstreifen, sind nie peinlich, sondern vermitteln immer: Hier steht einer, der das Leben kennt und tief hineintaucht, mit dem Glück im Kopf und der Melancholie im Herzen. "Sag doch nie, ich will nicht mehr leben, wem dient es, wenn man einfach geht" heisst es in einem Lied, und kurz darauf erklingt ein Kyrie für die ganze Welt.

Van Veen liebt die Gegensätze, den Stimmungswechsel, und er hat dabei die Weisheit des Hofnarren. Kaum ist ein sanft verhaltenes Lied verklungen, kann er einen Witz erzählen, schimpft, schreit und streicht kurz darauf wieder herzerreissende Töne auf der Geige. Eine komischere Oper als van Veens Darstellungen von erstochenen Tenören, Sopranistinnen und dem Bariton, der seinen Text vergessen hat, gibt es kaum. Und er zeigt sich da als Meister des Gesangs: stimmgewaltig, versiert, einer, der das Metier einst studiert hat.

"Papa, siehst du den Mond?", fragt der Sohn, und der Vater antwortet: "Super. Aber vor dem Krieg war er noch schöner." Es ist dieser subtile Humor, der fasziniert, neben dem britischen, schwarz angehauchten und van Veens wunderbarer Selbstironie. Schliesslich zählt er die toten Freunde auf und sagt: "Johann ist auch schon tot. Jedenfalls hoffe ich das ... Gestern haben sie ihn begraben." Nach dem über zweistündigen, faszinierend vielseitigen Programm wurden van Veen und die Musiker noch ein paarmal auf die Bühne geklatscht. Der Applaus wollte nicht enden, und van Veen, der erfahren hatte, dass 23 Niederländer im Publikum waren, sang eigens für sie ein Liebeslied "in unserer Sprache". Und alle hofften, es höre nimmer auf.