Christina Wittig
Sachsische Zeitung
Ein Volk ohne Traum
Herman van Veen im Dresdner Kulturpalast
21 nov 1997datum

Irgendwie ist er im falschen Film. Viel- mehr, im falschen Saal. Herman van Veen brauchte eine kleine Bühne in einem kleinen Theater - oder in einem rauchgeschwängerten Club. Auf den Tischen Gläser, in denen Whiskys oder dunkelrote alkoholische Essenzen melancholisch vor sich hinschwappen.

Aber er ist im falschen Saal. Im fast vollen Dresdner Kulturpalast, nur hier und da ist ein Sitz freigeblieben. Die Bühne ist meist in trübes, blau-violettes Licht getaucht. Und so blicken Herman van Veen und seine beiden langjährigen Bühnengefährten, der Pianist Eric van der Wurff und der Saxophonist Mark Reijnders, in fast völliges Dunkel. Nehmen das Publikum nur wahr» wenn es klatscht, lacht, johlt, tobt. Die Menschen, die versunken sind oder stumm ringen mit van Veens Dauer-Feuerwerk, sie entgehen dem Liedermacher völlig. Er hört nur, wie gelacht wird an Stellen, an denen das Lachen im Halse steckenbleiben müßte. Gerade hat seine Geige die allmählich erkaltende Lie- be zweier Menschen beweint, da bricht der Beifall auf und fegt jede leise Nach- denklichkeit hinweg.

Allerdings, Herman van Veen macht es dem Publikum auch nicht einfach. Er ist ja nicht nur einer, der mit der angenehmen Stimme des gereiften Chansoniers hübsch-traurige Liedchen über das Elend des Erdballs darbietet. Herman van Veen ist Musiker,-Clown, Philosoph, Kabarettist. Er ist voller Brüche - in einem Augenblick tiefernst, im nächsten reißt er zynische Spaße. Einmal trällert er französisch über seine Sonne, die Rosalie. Wenig später stapft er mit einer jämmerlichen Clownsnase auf der Stirn und einer Flasche Fusel über die Bühne und rechnet mit Deutschland ab, in seiner poetisch-kryptischen Sprache. „Sie sehen sich als die letzten, die lachen. Ein Volk ohne Traum. Das Kind ist gebrannt, doch es scheut nicht das Feuer. Ein deutsches Erwachen soll jeder hören. Geschichte ist biegsam, wenn Herren sie machen." Dann, als Nachsatz: „Deutschland will Eurofighter kaufen für 24 Milliarden Mark. Pervers."

Am Ende, nach etwas mehr als zweieinhalb Stunden, läßt er sich keine Blu- men, sondern einen Bund Porree schenken. Und er läßt das Publikum zum zweiten Mal an diesem Mittwochabend ein Lied singen. Es heißt „I love you", der Text beschränkt sich auf „I love you". Einmal nämlich kam eine Japanerin während der Pause zu ihm und sagte, „Herman, das Konzert ist ja ganz schön, aber ich habe nur ein Lied kapiert, und das war ,1 love you'."