Tomas Petzold
SZ
Abschied und Beständigkeit
Herman van Veen im Dresdner Kulturpalast
21 nov 1997

Herman war wieder da, nach zweieinhalb Jahren. Wieder ganz verändert, obwohl so manches gleich blieb. Die Musiker (Eric van der Wurf und Nard Rijnders) an seiner Seite, mindestens die drei Lieder, von denen in der letzten Rezension die Rede ist. Und den Frühling hat er wieder auf dem Klo verpaßt. Aber sonst hält Herman van Veen Augen und Ohren offen, ist dabei ein bißchen fremder geworden. Als „Nachbar", wie sein 'Programm heißt, singt er erst einmal auf gut niederländisch von dem „flakken Land", aus dem er kommt. Dann macht er uns auf gut Deutsch darauf aufmerksam, wie schwer wir uns mit Nachbarn tun. Mischten sich beim letzten Male deutliche Zweifel in die Anerkennung dessen, was hier im Osten vor sich ging, so spricht er heute seine Probleme mit uns ganz offen aus.

Er hat Angst vor einem neuen deutschen Erwachen. „Ich habe in der Zeitung gelesen, hier wird diskutiert über 24 Milliarden für den Eurofighter. Das ist pervers." Herman van Veen kommt so politisch, wie man es nur wünschen oder fürchten kann. Er reitet nicht auf den Themen herum, es gibt für ihn genug. „Geschichte ist biegsam, wo sie von Herrschern geschrieben wird." Aber Rosa ist anders, und die schokoladebraunen Frauen aus Afrika und Brasilien sind es auch. Nicht, daß wir dabei verge sen, wie man beim Kaffeemahlen (per Hand versteht sich) Lustgefühle vermittelt, oder etwa die Wunder des weiblichen Busens (von nix bis Beatrix) zu schätzen. Ganz zu schweigen von der bezaubernden Art, mit der der Sänger, Schauspieler, Clown, Tänzer noch immer jede Klippe meistert. Er pocht dabei ein bißchen auf Berufung, auf eine Autorität, die ihm hier niemand streitig macht.

Aber er ist nicht mehr der intime Freund, oder gar der gute Kumpel. Er macht Theater, dazu gehört auch aus der Rolle herauszutreten und direkt mit dem Zuschauer zu reden. Die Inkonsequenz ist zur Konsequenz geworden. So zu sein, wie er sein will, bedeutet für ihn, sich zu Brüchen zu bekennen. Wie lassen sich sonst all die Perversitäten und Obszönitäten mit liebe, Lust und Geist in Übereinstimmung bringen? Wo Pathos droht, das Gefühl überhand nimmt, rettet ein Witz. Aus makabren Verstrickungen eine menschliche Geste, das Eingeständnis der Hilflosigkeit.

Als Akteur ist van Veen (fast)' allein und dabei doch mehr als ein Alleinunterhalter, Als Musiker ist er vorzugsweise der wilde Geiger zwischen Musette, Rock'n'Roll und Zigeunermusik bildet mit dem expressiv-dynamischen Pianisten van der Wurff und Närd Rijnders, der Akkordeon, Klarinetten und Saxophon zum Sprechen bringt, ein ideales Trio. Aber es ist nur dienender Teil des Ganzen. Doch weil das Theater nicht im Theater, sondern in ungeeigneten Sälen stattfindet, ist der Sound entsprechend schlecht. Die Intimität, den Schmelz, den Hauch wirklich als Hauch muß man sich denken.

Künstlerische Unsicherheit ist auf ein Minimum reduziert, geblieben das Gefühl der Apokalypse. Die Traurigkeit, nun doch erwachsen zu sein und das Wünschen den Nachgeborenen zu überlassen. Seit 25 Jahren auf deutschen Bühnen, nochmal 25 und er ist 77, „reif für den Schlaganfall". Das Publikum wird auch älter, nur ein bißchen langsamer. Hermann singt von unvermeidlichem Abschied und beständigem Gefühl, nicht nur ohrgerecht, sondern bunt gemischt auch französisch, niederländisch, englisch:

"I love you, yesss, I do!"


Beim zweiten Mal ist vielleicht die frühere Warnte im Saal spürbar. .Der Abschied zieht sich hin. „soll aus dir ein Veilchen blühen" ist vielleicht zu traurig, zu endgultig.
Was fur ein guter Schluss ware Schuberts „Du bist die Ruh". Was nun noch kommt, ist für mich schwer auszuhalten. Jetzt möchte ich lieber gehn. Denn wenn beim Abschied das Gefuht bleibt, daß noch zu vieles ungesagt blieb, ist es tausendmal besser;
als wenn nichts mehr zu sagen ist.