Birgit Grimm schreef 200295 in Sächsische Zeitung



"Singen gelingt mir besser als schweigen..."


Herman van Veen verzauberte sein Publikum im Dresdner Kulturpalast



"Wenn man in Holland hört, die Sachsen kommen, dann gehen die Leute sofort ins Wasser und versuchen nach England zu schwimmen", meint Herman van Veen doch tatsächlich so ganz ohne Augenzwinkern. Na ja, wir Dresdner sind da ganz anders. Wir steigen nicht in die Elbe und versuchen nach Hamburg zu schwimmen, wenn sich hier ein holländischer Clown mit seinen Liedern angesagt hat. Wir ergattern, koste es, was es wolle, eine Eintrittskarte zu seinem Konzert und wollen ihm zuhören. Villeicht ist es die Stille, die die Holländer so erschreckt. Herman van Veen jedenfalls bemerkte bisher in jedem seiner Konzerte in Dresden, daß ihm hier noch zugehört wird. Kunststück bei einem, dem singen besser gelingt als schweigen und der mit seinen Liedern viele tief berührt, in ihrem Innersten trifft.
Van Veen kam mit dem Pianisten Erik van der Wurff und mit dem Saxophonisten und Akkordeonspieler Nard Reijnders, mit denen er seit Jahrzehnten zusammenarbeitet. Er brachte seinen alten Regenschirm mit und seine Violine, die ein totes Saxophon wieder zum Leben erweckt. Und er vergaß auch nicht die vielen dunkelgrauen Späße.
Echte Männer heißen Herman, behauptet Herman und : "Es gibt nur ein schönes Kind auf der Welt. Jede Mutter hat es." Fast im selben Atemzug erzählt er von der belgischen Stadt Ieper, wo 35000 Menschen leben, aber 600000 Soldaten begraben liegen, um in einer leichtfüßigen Kehrtwendung darüber schwätzen, daß er fest an Reinkarnation und Recycling und solche Sachen glaubt. Zum Beispiel könnte er sich genau erinnern, daß er, als er in den Wald ging, noch in seinem Vater gewesen sei, als er aus dem Wald kam, aber schon in seiner Mutter.
Er ist ein Seiltänzer, der sich verwegen zwischen Liebe und Tod bewegt, zwischen unglaublichem Klamauk und bitterböser Suggestion, zwischen Respekt und Frechheit. Singend, springend, Dreirad fahrend nimmt er das Publikum mit in ein Wechselbad der Gefühle. Eben jammert er noch darüber, daß auch in Holland das Wetter immer beschissener wird, um schon in nächster Sekunde mit einer großen Schere herumzufuchteln: "Messerschnitt". Kinder sind sie noch, die da in tarngrünen Uniformen kommen und von ihm aller drei Wochen einen Messerschnitt wollen. "Ein Wunder, daß das Messer mir noch nie entglitt."
Nein, ihm wird das Messer nicht entgleiten, niemals. Ein Harlekin mit soviel zärtlichem Gefühl für jede Frau, für jeden Mann, für so ungleiche Kinder wie Rosa und Anne, kann niemanden wirklich verletzen. Aber provozieren kann er, und das auf immer wieder neue, überraschende Weise. Ludwig Hans wurde vom Eisbären gefressen, und im Saal fällt eine Flasche um. Das Mädchen kommt aus der Klinik und ist clean, runter vom Stoff. Und wie immer hat keiner Zeit für sie. Vater guckt die Sportschau, Mutter telefoniert, und die Schwester lernt Algebra, bis das Mädchen auf dem Dach steht und ruft "Mama, Papa, ich kann fliegen". Und die Mama wirft Tulpen ins offene Grab und sagt: "Daß mir keine Klagen kommen." Die kommen aus Nards Saxophon, oder aus Friedrich Hollaenders Lied übers Flatterland: "Nein, man hat uns nicht gefragt, als wir noch kein Gesicht, ob wir leben wollen oder nicht" - wer kann sich seine Eltern schon aussuchen?

Herman van Veen tanzt mit dem Tod und hängt doch mit jeder Faser seines Körpers am Leben. Die Wiederauferstehung gelingt ihm alle Nasen lang mit einer Portion derben Humors. Und dann schneit es aus dem Regenschirm, und der Mond ist längst am anderen Ende des Himmels angekommen. Die Zugaben finden ein Ende, indem der Clown von der Bühne springt. Es gibt für Herman van Veen nur eine Möglichkeit, sich dem Publikum zu entziehen: Er muß mitten hinein. Und seelenruhig geht er unter tosendem Beifall den Gang hinauf aus dem Saal, gibt Autogramme, schüttelt Hände, verscheucht einen Fotografen und hat eine freundliche Geste noch für die Einlasserin, ehe wir schweigend begreifen: Das Konzert ist aus.


Birgit Grimm




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