Inglostadt Today
Katrin Fehr



"Ich bin ein musikalischer Reisende"

30 mrt 2019

Herman van Veen begeistert seit fast fünf Jahrzehnten sein Publikum. Der niederländische Liedermacher, Clown, Geiger, Schauspieler und Maler hat mehr als 70 Bücher geschrieben und rund 170 Tonträger veröffentlicht. Nun gastiert er auf seiner Tournee "Neue Saiten" auch im Festsaal des Stadttheaters in Ingolstadt. Wir haben mit dem überzeugten Europäer über Rechtspopulismus, Respekt, sein Talent und sein Glück gesprochen.


Ingolstadt (DK) Der Niederländer Herman van Veen ist ein Multitalent. Er singt, schreibt, ist vergnügt oder melancholisch - und stets auch politisch engagiert. Sei es als Kinder-Botschafter für Unicef oder für Flüchtlinge in seinem Kunstzentrum. Zurzeit ist der 74-Jährige auf Tournee. Mit dabei sind die Gitarristin Edith Leerkes, die Sängerin und Geigerin Jannemien Cnossen, die niederländischspanische Perkussionistin Wieke Garcia und der Bassist Kees Dijkstra Sie gastieren am 13. April um 20 Uhr im Festsaal in Ingolstadt.

Herr van Veen, Tourneen sind für jüngere Menschen schon ein Kraftakt. Nun geben Sie mehr als 80 Konzerte. Wie halten Sie sich fit? Oder hält die Bühne Sie munter?
Herman van Veen: Die Bühne ist mein Jogging, aber ich habe auch genetisches Glück. Meine Eltern haben mir scheinbar gute Gene mitgegeben. Es funktioniert alles. Und ich bin nicht einmal sehr diszipliniert oder forciere auch nichts. Ich versuche, das richtige Maß bei allem zu finden. Und ich habe Lust am Spielen und Freude daran, und das hält mich munter und beweglich.

Sie sind stets auch ein politischer Mensch gewesen und sind es noch. Wie viele Sorgen machen Ihnen die rechtspopulistischen und demokratiefeindlichen Bewegungen und Kräfte in Europa? Und wie kann man ihnen begegnen?
van Veen: Ich sehe es wie eine Mikado-Gesellschaft. Es ist komplexer denn je, und die Populisten bespielen die verschiedenen Medien und sozialen Netzwerke sehr raffiniert. Man hat die Wahrheit und die sogenannte Wahrheit. Und bevor man weiß, was die Wahrheit ist, muss man überprüfen, ob es nicht Fake News sind. Und damit haben wir alle zu tun. Im großen Bereich. Ich finde die Entwicklungen in Europa besorgniserregend. Ich denke, dass man den populistischen Entwicklungen mit zu vielen Emotionen begegnet statt mit Fakten. Man sollte den Dialog in Ruhe suchen. Aber es ist eine große Herausforderung, und ich habe auch kein Patentrezept. Ich glaube, dass man vor allem die Ruhe und das analytische Vermögen beibehalten muss und die Geschichte nicht vergessen darf, die sich immer wieder anders wiederholt. Hier ist es wichtig, den jungen Leuten in den Schulen zu erklären, was war und was ist und was woraus entstehen könnte, wenn man nicht dagegenhält.

Was könnte jeder Einzelne machen?
van Veen: Checken und Doppelcheck. Hinterfragen, was da gerufen wird. Und dann die richtige Entscheidung treffen.

Sie sind überzeugter Europäer, manche wollen Europa abschaffen.
van Veen: Ich glaube sehr an ein funktionierendes Europa, aber das ist auch so eine komplexe Geschichte. Ohne Europa geht es aber nicht. Und man muss diesen nationalistischen Tendenzen mit Argumenten begegnen und klar machen, was davor war und welche Vorteile dieses Europa hat. Denn so gut, wie es früher war, ist es doch früher nie gewesen.

Sie haben schon 2009 auf dem Album "Im Augenblick" über Migranten in Köln-Ehrenfeld gesungen. Wie bewerten Sie die derzeitige Flüchtlingsdebatte? van Veen: Für mich gilt aus der holländischen Perspektive, dass man diese Entwicldung humanistisch angehen muss. Wenn Flüchtlinge in Holland sind, müssen wir uns kümmern. Die Menschen und vor allem ihre Kinder haben Rechte, und die werden oft mit Füßen getreten. Da kann es keine Polemik geben. Wir haben die Pflicht. Ich habe mich gerade mit meiner Gitarristin Edith Leerkes darüber unterhalten, und sie gab zu bedenken: Kein Mensch will Flüchtling werden.

Sie haben sich immer für Kinder weltweit eingesetzt. Was muss man Kindern in diesen komplexen Zeiten vermitteln?
van Veen: Man muss sie ernst nehmen und die Auseinandersetzung mit ihnen suchen und ihre Fantasie anregen. Sie haben heutzutage so viele Möglichkeiten, die so komplex sind. Früher, glaube ich, war es einfacher. Ich habe kürzlich in der Montessori-Schule meiner Enkelin als Lese-Opa eine Geschichte erfunden. Ich habe nicht vorgelesen, sondern den Blindem die Realität, sie selbst, als Geschichte aus einem Buch präsentiert. Sie konnten sich selbst finden, erfinden und die Geschichte weiter entwickeln. Das war sehr lustig und intensiv und hat allen viele Möglichkeiten geboten.

Sie haben im holländischen Soest das Herman-van-Veen- Arts-Center gegründet. Was ist das genau?
van Veen: Das Fantastische ist, wir haben mit dieser Stiftung ein Kunstzentrum mitten in der Natur geschaffen. Holland hat noch 15 Prozent Natur, was nicht viel ist, und wir bespielen einen Teil davon. Wir organisieren etwa 140 Konzerte, Theater undTanzaufführungen jährlich. Für Kinder, junge Leute, Studenten, ältere Menschen, und niemand bezahlt Eintritt. Es ist einTreffpunkt, ein Begegnungsplatz für Leute, eine Weine Börse, da gibt es keine Hemmschwellen. Für junge Künstler ist es wichtig, weil sie schwer Galerien finden oder für junge Musikanten, die hier das erste mal auftreten können. Und gleichzeitig befindet man sich in einer wunderschönen Umgebung. Für uns ist es wirklich ein wahr gewordener Traum, ein Geschenk.

Dort gibt es auch ein Projekt mit Flüchtlingen.
van Veen: Ja, das ist wunderbar. 40 bis 50 junge Flüchtlinge aus Eritrea lernen dort Holländisch und erzählen, woher sie kommen, warum sie in ihrer Sprache was wie formulieren und wie es ihnen geht. Das ist sehr spannend, hat viel mir Respekt füreinander zu tun. Wir versuchen, praktische Hilfe zu geben. Weil die Unterschiede enorm sind. Weil alles mit der Sprache beginnt und man Schwierigkeiten leichter lösen kann, wenn man eine Sprache spricht.

Sie sind ein Tausendsassa mit vielen Begabungen und Talenten. Woher kömmt das?
van Veen: Ictl bin auch das Resultat von Ömas und Opas. Mein Großvater mütterlicherseits konnte gut Billard spielen, Schlittschuhlaufen, eine Zigarre drehen. Meine Mutter war eine wunderbare Küchensängerin. Und mein Vater liebte die Oper und Jazz. Ich stamme aus einer einfachen Familie interessanter und talentierter Menschen, die alle irgendetwas besonders gut konnten. Ich bin eine Kombination aus diesen Menschen.

Sind Sie ein philosophischer Musiker oder ein musikalischer Lebenskünstler?
van Veen: Ich bin ein musikalischer Reisender. Kein Philosoph und auch kein Lebenskünstler. Ich bin ein Reisender, der seine Reise besingt, erzählt oder malt. Ich will die Leute auch nichts lehren. Das Beste ist doch, wenn in einer Bar oder in einem Cafe oder in einer Runde zuhause jemand anfangt, etwas zu erzählen. Dann ist es an einem selbst, zu wählen, was man mit dieser Geschichte macht. Man kann auch unterschiedliche Sichtweisen haben, aber ich kann eingestehen, dass ich das womöglich nicht wusste. Das ist eine Chance. Man ist doch immer auf der Suche nach Türen, die ein wenig aufgehen und durch die man eine neue Perspektive bekommt. Wenn man Fragen stellt, ist man nicht dumm. Im Gegenteil. Man bekommt eine Antwort - und hat eine neue Frage.

Sie sind doch ein Philosoph!
van Veen: Solange ich es nicht behaupte.

Sie haben einmal gesagt, Sie seien ein glücklicher Mann. Was gehört zu Ihrem Glück dazu?
van Veen: Ich kenne eine handvoll Menschen, die ich liebe und die mich lieben. Das ist eine echte Basis. Ich bin erwünscht, ich bin für einige wichtig und ich kenne Menschen, die mir wichtig sind. Familie, Freunde. Und ich habe einen Beruf, den ich liebe, und ein Publikum, mit dem ich buchstäblich Begegnungen habe. Die Besucher machen sich auch auf die Suche. Sie erfahren und erleben, wie ich auch. Ich lerne aus jedem Auftritt, ich ziehe Mut und Geschichten daraus.

Wie kann man glücklich sein? Auch wenn Sie das sicher niemandem vorschreiben wollen.
van Veen: Genau. Was für mich funktioniert, muss für den anderen nicht stimmen. Dennoch. Für mich ist es wichtig, ohne esoterisch klingen zu wollen, den Moment zu leben und in diesem präsent und wahrhaftig zu sein. Die Fragen stellte Katrin Fehr.


ZUR PERSON
Herman vun Veen wurde am 14. Mär?; 1945 in Utrecht geboren. In den 60er und 70er Jahren mach ter er sich einen Namen als Kabarettist, Entertainer und Liedermacher. 1972 wurde er von Alfred Biolek und Thomas Woitkewitsch für das deutsche Publikum entdeckt.
Sein erstes deutschsprachiges Album erschien 1973: "Ich hab' ein zärtliches Gefühl". Ende der 80er-Jahre schuf er auf der Grundlage seiner Musikfabel der Ente Alfred Jodocus Kwak - die sich mit kindlicher Neugier durch die Welt fragt und dabei Themen wie Aids oder Apartheid ebenso betrachtet wie den Nahostkonflikt oder Auswirkungen des Kapitalismus - eine Zeichentrickserie.
2003 gründeten er und Hans-Werner Neske die Herman-van-Veen- Stiftung Deutschland, die sich für benachteiligte Kinder einsetzt.

Das Konzert mit Herman van Veen findet am 13. April um 20 Uhr im Festsaal in Ingolstadt statt. Karten gibt es bei den DK-Geschäftsstellen




Katrin Fehr