Dresdner Neue Nachrichten
Sabrina Lösch

Dem Verrückten annähern

18 okt 2019

Herman van Veen erfreut sich auch in Dresden großer Beliebtheit.
Der Niederländer gibt gleich drei Konzerte im Kulturpalast.

"Gewöhnen ist eine Form von Abnutzung", singt Herman van Veen im Kulturpalast, als er sein Lied "Was fast Venücktes" präsentiert. Mit lustigen und gleichzeitig geistreichen Anekdoten unterhält der niederländische Chansonnier sein Publikum beim Auftakt seiner drei Dresdner Konzerte.



Neben Songs des neu erschienenen Albums "Neue Saiten" reihen sich bekannte Kompositionen mit hohem nostalgischem Faktor aneinander, darunter "Hier unten am Deich" oder "Anne". Letzteren Song schrieb van Veen, lässt er sein Publikum wissen, für seine Tochter. Mit viel Humor und ebenso viel Verstand und Umsicht plaudert van Veen über seine Familie und seine Kindheit - und schlüpft dabei prompt in die Rolle des Clowns.

Und was erzählt er in solchen Momenten, in denen er die vollste Aufmerksamkeit des Publikums genießt? Von seiner lesbischen Tochter, die - ähnlich wie Josef und Maria-ein "Spender-Kind" haben möchte, oder dass seine Familie früher Radio guckte. Und vom vermeintlich verlorenen Leichnam seiner Mutter.

Van Veen mag mit seinen zarten 74 Jahren nicht mehr der Jüngste sein, doch darauf reagiert er, was auch nicht anders zu erwarten ist, mit Humor - etwa mit einer Anspielung auf die Gäste, die offensichtlich mit ihm mitgealtert sind: "Wir kommen seit 37 Jahren nach Dresden; und wissen Sie, die Hälfte des Publikums ist schon Staub. Aber Sie sind noch hier." Als Ausgleich für diese ironische Pointe legt sich van Veen bei seinem Auftritt von der ersten Sekunde an richtig ins Zeug. Dabei scheut er auch nicht davor zurück, aus seinen Schuhen zu schlüpfen, um das Tanzbein ordentlich zu schwingen.
Als seine knallroten Socken zum Vorschein kommen, lässt es sich der Niederländer nicht nehmen, Chuck Berrys Duckwalk zu imitieren. Selbst, als es ihn bei einer gewagten Pose auf dem Stuhl wortwörtlich fast vom Hocker haut, meistert der geübte Bühnenkünstler dies souverän.

Neben seiner hervorragenden Eigenschaft als Entertainer präsentiert van Veen auch seine umfangreichen musikalischen Fähigkeiten: sei es auf dem Flügel, mit der Mundharmonika, auf der Geige, mit dem Cajön, am Synthesizer - oder, nicht zu vergessen, mit dem Mikrofon vor der Nase und der Gitarre in der Hand.

Eine ausgeklügelte Opern-Persiflage offenbart nebenbei auch noch sein Talent, so ziemlich alle Stimmlagen von Tenor bis Sopran mit Bravour wiedergeben zu können. Diese Verwobenheit von Parodie und Ernst garantiert eine erfrischende Abwechslung, in der weder melancholisch angehauchte Parts noch humorvolle Einlagen die Überhand nehmen.

Perfekt ist übrigens auch die gesamte Band: Auf der Bühne herrscht während der knapp dreistündigen Show ein so reger Wechsel an Instrumenten, dass einem als Zuschauer dabei fast schon schwindelig wird.
Eben stand Kees Dijkstra noch am Kontrabass, doch eine Sekunde der Unaufmerksamkeit genügt, um ihn plötzlich am Synthesizer oder mit Bassgitarre ausgerüstet wiederzufinden.
Jannemien Cnossen begeistert indessen nicht nur als Violinistin, sondern gleichsam mit ihrer kraftvollen Stimme.



Sabrina Lösch