Lubecker Zeitung
LARS FISCHER

Das Phanomen van Veen

14 sept 2019

Der niederländische Liedermacher gastiert zusammen mit der Gitarristin Edith Leerkes erstmals in der Worpsweder Music Hall


Worpswede. Herman van Veen vertritt so manche steile These. Worpswede, so behauptet er beispielsweise, heiße im Niederländischen so viel wie Bumerang. Wenn das bedeuten soll, dass er nach seinem ersten Auftritt in der ausverkauften Music Hall immer wieder dorthin zurückkehren werde, dann hat das j Worpsweder Publikum sicher nichts dagegen. Es feierte den niederländischen Songpoeten und seine kongeniale Begleiterin, die Gitarristin Edith Leerkes.

Angekündigt war der Auftritt als Lesung mit Musik, und für eine Handvoll kurzer Passagen mit autobiografischen Texten nimmt van Veen tatsächlich am Lesetisch Platz. Die meiste Zeit aber singt und erzählt er, spielt Gitarre, Geige und Flügel und gönnt sich ein paar Clownerien. Im Grunde ist sein Auftritt aufgebaut wie seine großen Konzerte seit Jahrzehnten mit Liedern, Zwischenmoderationen und kleinen Einlagen, die sein Publikum zum Schmunzeln bringen, nur eben mit reduziertem Instrumentarium. Leerkes' Gitarrenspiel ist brillant, und auch ihre Stimme harmoniert mit der van Veens perfekt.

Seit 1965 steht Herman van Veen auf der Bühne, er hat weit über 100 Alben und Dutzende Bücher veröffentlicht. Auch mit 74 Jahren ist er viele Monate im Jahr auf Tournee, Abnutzungserscheinungen sind ihm offenbar fremd. Das Altern beginne mit der Geburt, sagt er, und dass er dank des frühen Haarverlustes schon lange so aussehe wie heute. Und überhaupt, „so gut, wie es früher war, ist es früher nie gewesen“. Er stamme aus einer Zeit, als die Luft noch sauber und der Sex dreckig gewesen seien. „Heute ist das umgekehrt.“ Nostalgisch ist sein Programm also nicht, zu vielen neuen Liedern gesellen sich nur wenige alte, bei denen er gleich zweimal auf Vorlagen von Jacques Brel zurückgreift.

Entschiedene Sanftheit

Was das Phänomen van Veen ausmacht, ist eine entschiedene Sanftheit. Mit seinem unverwechselbaren holländischen Akzent und seiner meist simplen und doch tiefsinnigen Alltagsphilosophie gewinnt der Sänger die Herzen seines Publikums im Handumdrehen. Mit spitzbübischer Freude bringt er ein paar charmante Anzüglichkeiten unter und gewinnt selbst Themen wie dem Sterben eine leichte, aber niemals unangemessene Note ab, wenn er etwa behauptet, die Antwort seiner Mutter auf die Fräge „Was kommt nach dem Tod?“ habe gelautet: „Die Rechnung!“ Absolut liebevoll erzählt er von Erik van der Wurff, mit dem er bis zu dessen Tod 52 Jahre lang zusammen gespielt hat. Er nennt ihn eine Brieftaube, weil er einen brillanten Orientierungssinn gehabt habe, und man spürt, wie sehr er seinen treusten Gefährten vermisst.

Aber auch Herman van Veen hat einen ausgeprägt guten Sinn für den besten Weg. Er findet spielend von einem Thema zum anderen, vom Ernsthaften zum Fröhlichen, vom ganz Leisen zum Bestimmten. Nur am Rande schimmern politische Themen durch, es ist sowieso klar, für was ein so friedliebender und offenherziger Künstler steht. Lieber glänzen er und Edith Leerkes musikalisch, sowohl in Soli wie im Zusammenwirken. Eine ganze Oper inklusive Chor imitiert van Veen in einem Intermezzo, Leerkes begeistert mit einem Solostück für klassische Gitarre. Am Ende des Abends tanzen beide von der Bühne, nicht ohne den Hinweis, dass weitere Zugaben bei drei Konzerten in der Bremer Glocke vom 7. bis 9. November zu hören sein werden.



LARS FISCHER