Hamburger Abend Blatt
JAN HAARMEYER

Der alte Clown verzaubert immer noch

Ein wunderbarer Abend mit Herman van Veen und seiner großartigen Band endet in der Laeishalle erst nach vier Zugaben

12 okt 2019

HAMBURG :: Er tänzelt und watschelt, stolziert und dirigiert, singt und geigt, schimpft und schweigt. Ein Konzert mit Herman van Veen ist kein Konzert. Es ist ein musikalisches Schauspiel. Und es dauert manchmal fast drei Stunden, weil die Gäste den alten Clown da oben einfach nicht gehen lassen wollen.


„Neue Saiten“ heißt die Tournee, die den niederländischen Poeten durch 52 Städte in Deutschland, Österreich und der Schweiz führt. Mehr als 80 Auftritte mit seiner erstklassigen vierköpfigen Band sind das. Auch das erste von drei Schauspielen in der Laeiszhalle ist nahezu ausverkauft. Weil die Menschen zwar an den neuen Seiten des Herman van Veen interessiert sind, aber sich noch viel mehr von dem alten Bekannten verzaubern lassen wollen.

Herman van Veen war 27 Jahre alt, als Alfred Biolek und Thomas Woitke-witsch ihn für das deutsche Publikum entdeckten. Heute, zahllose Tonträger und 70 Bücher später, ist er 74 und trifft den Nerv seiner mit ihm ergrauten Fans, wenn er fragt: Was ist schon schlimm am Älterwerden? „Es ist doch auch etwas Neues und Frisches, denn: Älterwerden tust du immer zum ersten Mal.“ Um dann zum großen Vergnügen des Publikums festzuhalten: „So gut, wie es früher war, ist es früher nie gewesen.“

So gut, wie er früher war, ist er auch heute noch. Mindestens. Das liegt an seinem Humor und seinem Wortreichtum. An seinem Können an den Instrumenten, ob Flügel oder Geige, Gitarre oder Mundharmonika. Und natürlich an seiner Stimme, die hauchen kann und berauschen kann. Mal zärtlich ist, mal zähneknirschend. Mal Sopran, mal Tenor, wozu sich bei seiner herrlichen Opem-Parodie noch ein richtiger Chor gesellt, den er ebenfalls ganz alleine singt. Wie auch immer er das anstellt.

Dazu hat sich der Liedermacher mit exzellenten Musikern umgeben. Edith Leerkes (Gitarre), Jannemien Cnossen (Geige) und Wieke Garcia (Harfe, Percussion) beherrschen nicht nur ihre Instrumente, sie sind auch großartige Sängerinnen. Herman van Veen lässt ihnen,wie dem Bassisten Kees Dijkstra immer wieder Raum für eigene Soli. Und so wandeln diese fünf Musik-Artisten die Laeiszhalle, und auch das ist ein Grund für diesen ungemein unterhaltsamen Abend, in eine Zirkusarena und einen Jazz-Schuppen, in eine Kleinkunstbühne und eine Rockbude, in einen Theatersaal und in ein Variete, welches die .
Akteure zur Pause tanzend verlassen, um 20 Minuten später zu Drehorgelklängen wieder im Tanz hereinzukommen.

Dann erzählt Herman van Veen erstmal von seiner Kindheit. Von Vater und Mutter, die ihm so viel Liebe mitgegeben haben. Und dem großen Buch mit den furchtbaren Bildern aus dem Zweiten Weltkrieg, das ergänz hinten im Schrank seiner Eltern gefunden hat.
Wenn die Erwachenen zu so etwas fähig sind, hat er damals gedacht , dann will ich doch lieber ein Kind bleiben. Ist er ja irgendwie auch, denkt man. Heute findet er die populistischen Entwicklungen in Europa besorgniserregend. "Es ist wichtig“, hat der Unicef-Botschafter und Vater von vier erwachsenen Kindern gesagt, „den jungen Leuten in den Schulen zu erklären, was war und was ist und was daraus stehen könnte, wenn man nicht dagegenhält.“ Er selbst tut das schon länger in seinem 2012 gegründeten Kunst- und Kulturzentrum im holländischen Soest mit einem Projekt für rund 50 Geflüchtete aus Eritrea.

Auf der Bühne geht es dem geigenden Geschichtenerzähler und warmherzigen Weltverbesserer aus dem flachen Nachbarland vor allem um kluge Unterhaltung. Er bringt die Menschen zum Schmunzeln, zum Nachdenken, zum Staunen. Beifall und Lachen halten sich immer die Waage. „Wenn 97 Prozent der Wissenschaftler recht behalten und sich und sich die Erde um zwei Grad erwärmt, müssen 17 Millionen Holländer nach deutschland umziehen", sagt er . Lautes Gejohle.

„Noch lachen Sie“, sagt er. Und grinst verschmitzt.

Am Ende will es nicht enden. Dreimal schon ist Herman van Veen wieder auf die Bühne geklatscht worden. Die Lichter im Saal sind längst an. Aber die Leute geben keine Ruhe. Also kommt er noch mal. „Holland spielt heute gegen Nordirland, in der Pause steht es noch 0:0, ich fange an, mir Sorgen zu machen. So werde ich natürlich nie 80.“ Und singt dann, wohl auch ans Publikum gerichtet: „Ich lieb dich noch.“

Zum Glück haben die Holländer, das muss man dann wohl mal so sagen, ja noch 3:1 gewonnen.



JAN HAARMEYER