Von Wilfried Mommert, dpa, e.mail 19 dez 2002

"Ich singe um mein Leben": Reinhard Mey wird 60




Berlin (dpa)
Reinhard Mey ist der große Einzelgänger unter den deutschen Liedermachern. Er wollte schon immer "über den Wolken" wie Orpheus singen, wie er auf seiner allerersten Langspielplatte 1967 bekannte. "Ich singe um mein Leben" meint er heute, "um die Angst nicht zuzugeben", vielleicht auch vor dem Älterwerden. Am Sonnabend (21. Dezember) wird der "ewige Junge", der seit Jahrzehnten die Säle füllt und rund vier Dutzend Alben mit mehr als 500 Liedern aufgenommen hat, 60 Jahre alt.

Die magische Zahl bedeutet für Mey aber nicht viel. "Das schreckt nicht mehr, das war eher mit 30, das war ein wirklicher Einschnitt", sagte er in einem dpa-Gespräch. "Was mich aber schon beschäftigt, ist, dass ich mir sage, du musst jetzt endlich mit deiner Zeit was anfangen", meint der nach eigenem Bekenntnis stets unruhig- "hippelige" Liedermacher. "Hat meine Jugend über Nacht sich leise aus dem Staub gemacht und ich hab's gar nicht mitbekommen?" sinnierte er schon zu seinem 50. Geburtstag.

"Die Endlichkeit wird mir bewusster, aber nicht erst unter der Drohung der 60", sagt der am 21. Dezember 1942 in Berlin geborene Reinhard Friedrich Michael Mey heute. "Es ist die Erkenntnis, das Kostbarste was man hat, die Zeit, bewusst zu genießen, den Moment zu leben. Ich habe gelernt, am Tag auch mal vor mich hinzuträumen, zum Beispiel hinter meinem Haus zu sitzen und einfach nur ins Grüne zu sehen, oder am Kamin lange ins Feuer zu starren und mich darin in Gedanken zu versenken. Auch am Meer verliere ich mich manchmal. Dann sitze ich am Strand mit einer Flasche Wein und plötzlich ist der Tag vorbei und ich war 6 Stunden allein."
Vom weiten Horizont singt Mey auch auf seiner jüngsten CD "Rüm Hart", auf der er aber auch wieder die grotesken Seiten des Alltags mit musikalischer Ironie besingt. Aber auch "Mein Land" wird politisch ins kritische Liedermacher-Visier genommen, wie es Mey schon seit Jahren immer stärker tut und dabei Themen wie Kindesmissbrauch oder Ausländerfeindlichkeit keineswegs aus dem Wege geht.

Ein "Sänger der heilen Welt" will er trotz des hartnäckigen Mey- Klischees jedenfalls nicht sein. Und der Vater von zwei Söhnen (26 und 21 Jahre) und einer Tochter, die noch zur Schule geht, weiß auch ein eigenes Lied von den Familien-Freuden und -Problemen zu singen. "Schwere Wetter" heißt das neueste Werk dazu bezeichnenderweise. Aber wenn er Fehler gemacht hat, "dann mit Liebe", beharrt Vater Mey.

Mit viel Liebe haben ihm langjährige Weggefährten und Freunde unter den Liedermachern auch ein besonderes Geburtstagsgeschenk gemacht: "Hommage an Reinhard Mey" nennen sie ein Doppelalbum (EMI), auf dem sie nochmal, aber jeder in seiner eigenen Tonart, die größten Reinhard-Mey-Hits singen. Guildo Horn outet sich dabei als Fan der ersten Stunde und geht auf "Diplomatenjagd". Karl Dall erinnert an die langen gemeinsamen Berliner Nächte in den damaligen Musikclubs, in denen auch ein Mey seine ersten abendlichen Auftritte "für ein Bier und eine Bockwurst" hatte.

Zu den anderen Gratulanten gehören unter anderem Hannes Wader, Konstantin Wecker, Jürgen von der Lippe, Götz Alsmann und Xavier Naidoo, der "Über den Wolken" in überraschenden Soultönen schwebt. Der holländische Liedermacher Herman van Veen hat als einziger ein neues Lied als Hommage auf seinen Berliner Kollegen geschrieben, in dem er wohl auch die Gedanken und Gefühle vieler Mey-Fans zum Ausdruck bringt: "Selten trifft man einen vertrauten Unbekannten, einen bekannten Fremden...Mit so einem spricht man gerne...Wie kommt es, dass so viel von dir mir so lieb ist?"