Holger Jenrich schrieb am 19.05.01 in der Neuen Presse

Herman van Veen entdeckt den Sex als Show-Würze
Fans im Theater am Aegi erklatschen eine Stunde Zugaben



Er schafft seine Fans immer noch: Herman van Veen im Aegi-Theater.


HANNOVER.
Jahrzehnte galt er als Hohepriester der Wollsockenfraktion. Weil er so warm, so weich, so freundlich daherkommt. Als poetischer Softie hat er sie alle rumgekriegt: Toscana-Freundinnen, Allert-Wybranietz-Leserinnen, Duftkerzen-Anzünderinnen - und auch ein paar Männer. Doch jetzt, im stolzen Alter von 56, hat auch Herman van Veen verstanden: Sex verkauft sich gut.

Also stellte er vier Musikerinnen auf die Bühne. Sämtlich Meisterinnen auf Violine, Harfe, Dudelsack. Und alle auf High Heels, mit Schlitz im Kleid oder Reißverschluss-Dekolletee. 1100 Menschen im prall gefüllten Theater am Aegi hatten was zu gucken - wenn auch was anderes erwartet.

Doch "Was ich Dir singen wollte", das neue Programm des niederländischen Tausendsassas, ist mitnichten eine Peepshow für Alternative. Eher ein bunter Reigen aus Zirkus Roncalli, Chansonabend und Märchenstunde. Zwar mit dem einen oder anderen endlosen Bein, aber auch mit den üblichen Verdächtigen: Gott, Gudrun, Geige. Mittendrin der sanfte Verführer Herman van Veen. Er singt Brel auf Jiddisch. Spielt die imaginäre Fingerpanflöte. Gibt einen brünstigen Bariton. Illuminiert einen ramponierten Regenschirm. Und macht höchst erfolgreich auf Pan Tau.

Dass er nur wenige seiner alten Stücke spielt - geschenkt. Dass die besten Texte aus der Feder von Heinz-Rudolf Kunze stammen - egal. Dass er seinen obligatorischen Bademantel offenbar in der Wäsche hat - Schwamm drüber. Wie kein anderer verbindet Herman van Veen Philosophie und Firlefanz. Teufelskerl und Mädchen mit Magersucht. Wehmut und Leichtigkeit. Den reichen Knacker und das arme Aas.

Das Publikum war völlig aus dem Häuschen. Erklatschte, erjohlte, ertrampelte sich eine Stunde Zugaben. Und nahm neben zärtlichen Gefühlen auch eine Weisheit mit nach Hause: Die Wahrheit ist viel besser zu begreifen, wenn sie klingt.



Holger Jenrich





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