Anne Diekhoff schrieb am 18.11 2005 in der Neuen Osnabrücker Zeitung




Die Lebensfreude bekommt einen makabren Ton


Der Mann auf der Bühne ist gerade 60 geworden. "In Celsius ist das nur 15!", sagt er und freut sich über diesen Scherz wie ein Kind. Damit bringt Herman van Veen am Ende eines langen, prall gefüllten Konzertabends in der Stadthalle auf den Punkt, in welcher Spannweite er sich bewegt.



Er kann sich auf seine Lebenserfahrung berufen und sehr weise und ernst sein - und im nächsten Moment turnt er ausgelassen über die Bühne und erzählt frivol angehauchte Trink-Geschichten. Er vergisst keine Facette vom Leben, deshalb erreicht er irgendwann jeden, auch mit seinem neuen Programm "Hut ab!"
"In den Augen meiner Mutter war immer ein Leuchten. Immer fand ich da die Liebe, in den Augen meiner Mutter", singt er beispielsweise, und im Publikum wird ergriffen geseufzt. Er erinnert sich selbst daran, wie es sich anfühlt, ein Kind zu sein, und er findet die Worte und die Melodien, diese Erinnerung an die Zuhörer weiterzugeben. Die Musik ist dabei mehr als pure Begleitung zum Text. Oft steht sie im Vordergrund und erzählt ihre eigenen Geschichten in Klängen, die an Zigeunermusik oder Klezmer erinnern. Neben seinem Pianisten Erik van der Wurff, mit dem van Veen seit über vierzig Jahren zusammenarbeitet, stehen die Gitarristin Edith Leerkes, Geigerin Jannemien Cnossen, der Akkordeonspieler Oleg Fateev und Percussionistin und Harfenistin Wieke Carcia mit ihm auf der Bühne. Im Laufe der Vorstellung lernt man diese formidablen Musiker kennen, denn immer wieder werden sie ins Rampenlicht geschickt für ein paar Solo-Minuten, bevor sie wieder gemeinsam mit dem Sänger die Stimmungen malen, die gerade gefordert sind. Eine ausgelassen fröhliche Stimmung beispielsweise, wie sie zum Klassiker "Warum bin ich so fröhlich?" gehört. Herman van Veen kann sich sicher sein, dass sein Publikum dieses Lied hören möchte.

Vielleicht hat er es selbst aber schon oft genug gehört - er versucht es deshalb mit einer Variation. Während sein clownesker Watschelgang die nach einem ruhigen Konzert-Einstieg beginnende Ausgelassenheit ankündigt, mischt er Zeilen ins Lied, die wie Pfeile treffen: Wie könne er so fröhlich sein, wenn Bush das Bomben nicht lässt? Ohne USA-Referenzen kommt auch van Veen nicht aus, und so gibt er seinem Lebensfreude-Hit einen makabren Ton.

Der Wechsel der Stimmungen erfolgt oft abrupt. Eben noch appelliert Herman van Veen freundlich an Väter, das Aufwachsen ihrer Kinder bewusst mitzuerleben: "Wieg es sanft in deinen Armen. Bevor du es merkst, ist das Kind schon groß." Doch bevor das Publikum richtig zu klatschen beginnen kann, fügt er die "afrikanische Version" hinzu: "...ist das Kind schon tot", singt er da, und das Klatschen bleibt den Menschen in den Händen stecken. Immer wieder platziert der Künstler derartige Statements. Aber in all seinen Liedern, Geschichten und Sketchen strahlt er dennoch eine ansteckende Zuneigung zum Dasein aus.