Leon de Winter schrieb am 18.11.2004 in der Welt am Sonntag...


Sollte ich meine Kinder bewachen lassen?

Holländisches Tagebuch


Von Leon de Winter

Zum "größten Niederländer aller Zeiten" haben wir Pim Fortuyn gewählt. Die Engländer hatten Churchill, die Deutschen Adenauer, wir halten es mit Pim Fortuyn. Natürlich war Fortuyn kein Held. Aber er hatte es gewagt, den herrschenden linken Eliten und ihren Obsessionen den Kampf anzusagen.

Wir haben uns in den Niederlanden selbst etwas Kompliziertes aufgehalst. Nicht, weil unsere Toleranz eigentlich naiv ist, wie Herman van Veen Sonntag Abend bei "Sabine Christiansen" bemerken durfte - selten habe ich so viel musikalisches Talent derart in intellektueller Luftleere verpuffen sehen -, sondern weil in den Niederlanden die Eliten länger als irgendwo sonst mit ihren multikulturellen Illusionen die bittere Wirklichkeit beherrschen konnten.

Natürlich sind die meisten Immigranten aus islamischen Kulturen einigermaßen angepaßt und friedliebend, und das Übel geht von einer kleinen extremistischen Gruppe aus. Doch unser Staatsschutz, der AIVD, schätzt, daß die Radikalen von fünf bis fünfzehn Prozent der in den Niederlanden lebenden Moslems unterstützt werden. Die gigantische Spanne von zehn Prozent zeigt, daß der AIVD eigentlich keine Ahnung hat, was los ist. In den Niederlanden leben 16 Millionen Menschen, eine Million davon sind Moslems. Selbst wenn wir vom niedrigsten Prozentsatz ausgingen, kämen wir auf ein radikales Umfeld von 50 000 Menschen. Das sind 50 000 Vulkane in einem kleinen Land, das zu einem Drittel unter dem Meeresspiegel liegt. Wer kann mit so einer Bedrohung leben?

Als ich vergangene Woche meine Kinder in unsere Dorfschule brachte, fragte eine der Mütter, ob wir nicht über eine Bewachung nachdenken sollten. Von Freunden hörten wir, daß deren Freunde in Amsterdam vier bärtige Männer mit arabischer Kopfbedeckung beobachtet hätten, wie sie aus einem Auto heraus eine Schule fotografierten. Die natürliche Todesangst, die jeder Vater und jede Mutter kennt, wenn es um die Sicherheit ihrer Kinder geht, eine Angst, die von ohnmächtiger Liebe geprägt ist, hat nun plötzlich eine politische Dimension angenommen. Wir haben eine Heidenangst vor einem zweiten Beslan.



Leon de Winter (50) lebt als Schriftsteller in der Nähe von Amsterdam