Matthias Zwarg schrieb am 17.03.01 in „Freie Presse" - Chemnitz


Für Menschen, die noch Träume haben



Herman van Veen kommt mit exzellenter Band in die Chemnitzer Stadthalle - Selbstauskünfte des singenden Clowns in einer fiktiven Begegnung

Chemnitz. Einen Interviewtermin bei Herman van Veen zu bekommen ist eigentlich beinahe ganz einfach. Zum Beispiel in Leipzig, wo er vergangene Woche aufgetreten ist, zum Beispiel im Hotel Mercure, wovon es in Leipzig gleich zwei gibt. Und in keinem der beiden wohnt Herman van Veen. Das ist wie im richtigen Leben, vertrackt manchmal. Das ist wie in den Liedern Herman van Veens. Die handeln vom Leben wie es ist, in dem auch nicht immer alles klappt, in dem es aber trotzdem weitergeht. Die handeln von Mama, Papa und von Tante Leonie, die eine "Sexualtherapeutin" war- „-bei uns in Utrecht sagt man einfach Hure" -handeln von Engeln, Taufen, von einem magersüchtigen Mädchen, vom Anders- und vom Selber-Sein. „Was ich dir singen wollte" heißt sein neues Programm, das er am Samstag in der Chemnitzer Stadthalle vorstellt. Die nun beschriebene Begegnung ist fiktiv, Herman van Veens Zitate stammen aus Texten zum aktuellen Programm.

Freie Presse:
Geboren 1945 in Utrecht hat der liedermachende Clown, der clowneske Liedermacher, der Moralist Herman van Veen inzwischen über 115 Platten in fünf Sprachen veröffentlicht. -Aber genug ist nicht genug - was treibt ihn im Jahre 2o01 auf Bühne?

Herman van Veen:
Dieses Jahr wurde ich 56. Bin ein paar tausend Vorstellungen weiter. Zog von Pontius zu Pilatus. Bejubelt, an- und ausgelacht. Begraben, unter Applaus. Blumen, haufenweise Zeitungen. In Stücke geschrieben, über den. grünen Klee gelobt. An jedem Aussichtspunkt schau ich auch nach hinten. Will öfter bei den Blumen, bei den Bäumen, bei den Tieren und den Kindern sein... Und sing. Von immer, vom Tod, den es nicht gibt, und dem Leben, das fassungslos macht. Vom lieben, schweren Leben, das jauchzt, das brüllt, das tröstet das brennt und hämmert, das flüstert, das lauscht, das lieb hat. Das weitermacht, ohne sich umzusehn, heilig, geleichgültig.

Freie Presse:
Herman van Veen ist schon oft in Ostdeutschland aufgetreten, das letzte Mal in Chemnitz vor fünf Jahren. Welche Gedanken verbindet er mit dem Fall der Mauer?

Herman van Veen:
Elf Millionen Ostdeutsche besuchten in den ersten zehn Tagen nach dem Fall der Mauer Westberlin und die Bundesrepublik. Elf Millionen Menschen kletterten über Steine, krochen durch Stacheldraht, gingen direkt über frei gemachte Grenzübergänge ins Gelobte Land. Fast dreißig Jahre Schmerzen. Folge des größten Krieges, den die Menschheit je gekannt hat, verschachert an die Interessen der Touristenindustrie. Die Mauer wurde ersetzt durch eine Replik. Ein Mauer-Monument mit einem schmalen Spalt, durch den man vom Westen in den Osten spähen kann. Eine Lage Steine, die den Todesstreifen, auf dem Hunderte von Menschen den Tod fanden, darstellen muss. Die Mauer hätte bleiben müssen. Inklusive der von Menschenhand gemachten Öffnungen. Um ein Band mit, der Vergangenheit herzustellen, müssen Dinge nicht echt aussehen. Sie müssen echt sein.

Freie Presse:
In der Leipziger Oper gab es viel Applaus, Blumen, Autogrammwünsche, er spielte vier Zugaben... wie wünscht er sich seine Zuhörer nach einem Konzert?

Herman van Veen:
Es wäre schön, wenn die Menschen im Saal sich so angesprochen fühlen, dass sie beim Verlassen des Theaters ihre Jacke vergessen.

Freie Presse:
Manchen ist Herman van Veen zu sentimental zu theatralisch.

Herman van Veen:
Lass die Oberflächlichen mich oberflächlich nennen, laß die Sentimentalen mich sentimental nennen, die Weisen mich weise, die Verrückten verrückt, die Anderen anders, die Lieben mich lieb, die Götter mich Gott.

Freie Presse.
Im neuen Programm spielen Erinnerungen eine große Rolle....

Herman van Veen:
Das Vermögen, das ich besitze, ist die Erinnerung an meine Eltern.

Freie Presse:
.... und obwohl die deutschen Texte manchmal von anderen geschrieben wurden (von Heinz Rudolf Kunze zum Beispiel), klingen auch sie, als wären sie ein Stück von Herman van Veens eigenem Leben.

Herman van Veen:
Die Lieder, die ich singe, sind kein Fingerabdruck meines Lebens. Aber sie sind nie Fiktion.

Freie Presse:
Es scheint als wäre dem Sänger nichts Menschliches fremd. Aber eine Grenze der Toleranz gibt es dennoch -zum Vlaamsk Blok, dem ultrarechten Flämischen Block in seinem Heimatland, sagt er...

Herman van Veen:
Kann das nicht unbesungen lassen. Schrieb vor Wut einen extra Vers in Brels großartiges M'n vlakke Land (Mein flaches Land).

Freie Presse:
Ein Lied in seinem Programm wird angekündigt "für die Menschen, die noch einen Traum haben". Hat Herman van Veen selbst noch Träume, hat er er ein, sein Wunder? ,

Herman van Veen:
Der Himmel ist wieder klar. Ich stehe auf dem I-Tüpfelchen der Erde wie einst der kleine Prinz auf seinem Planeten, und stelle unumwunden fest: Das Leben ist ein Wunder.






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