Mârkische OnlineZeitung
Uwe Stiehler

Van Veen im Konzert: Traummann, Clown, Philosoph

30 nov 2016

Berlin (MOZ) Auch bei dieser Geschichte weiß man nicht, wie viel Dichtung Herman van Veen in die Wahrheit getröpfelt hat. Obwohl, so wie er am Dienstag auf der Bühne des Berliner Admiralspalastes ein halbes Dutzend Gesichter in einem trägt, ist ihm zutrauen, dass er sein Kind wirklich so dauerhaft verschreckt hat. Er erzählt also Folgendes: "Ich habe meinem Sohn Schneewittchen so grausam vorgelesen, dass er danach nie mehr eine Apfel gegessen hat."


Solche Episoden streut er immer wieder zwischen die Lieder seines Programms, das wie seine neue CD "Fallen oder springen" heißt, sich also vor allem ihre Lieder ausleiht. Aber nicht nur. Denn es gibt Songs, die hat van Veen seinem Publikum und sich so tief ins Gefühl gesungen, dass sich beide nach einem Wiederhören sehnen. "Ich lieb Dich noch" zum Beispiel, ein Stück das die Schwermut des Liebesalltags besingt und das Leiden am Gefühlsabrieb, das tieftraurig macht und gleichzeitig wärmt mit seinem Bekenntnis zu wehrloser Hingabe.
Würde van Veen ein Parteiprogramm schreiben, dann wahrscheinlich mit dieser Maxime: Verletzlichkeit, Zutrauen, Naivität sind keine Schwächen, sondern bewahrenswerte Charakterschätze. Er hebt sie auch in seinem neuen Programm auf die Bühne, das etwas von einer Kirmes hat. Es gibt ein bisschen Klamauk und Faxen, launige Ansagen, musikalische Akrobatik und leise Momente großer Zartheit, die sich entfalten, wenn van Veen und Edith Leerkes die Bühne für sich haben. Leerkers singt genauso ausgezeichnet und berührend, wie sie Konzertgitarre spielt. Van Veen und sie treten schon lange gemeinsam auf. Er sagt, mal abgesehen davon, dass sie ihm die Beweglichkeit einer Tänzerin voraushabe, "sind wir identisch". Bei allen musikalischen Raffinessen, die seine aus jungen Musikern zusammenstellte Band an diesem Abend zaubert, die intensivsten, empfindsamsten Momente entstehen in den Duetten van Veen/ Leekers. Aber das sind nur wenige Inseln melancholischer Gedämpftheit, die aus dem temperamentvollen Wogen dieses Abends herausschimmern.

Van Veen und seine siebenköpfige Band (Klarinette, zwei Geigen, zwei Gitarren, Bass, Schlagzeug) spielen sich immer wieder in rauschartige Zustände. Es ist ein intuitives Ineinandergreifen und ein Genuss, das zu hören. Van Veen gliedert sich hin und wieder als Multiinstrumentalist in seine Band ein, sitzt am Flügel, spielt Gitarre, Geige, Marimba und nimmt am Schluss die Trommelstöcke in die Hand. Der Mann hat Musik in all seinen Zellen. Doch nicht allein damit fängt er sein Publikum ein. Es ist die Mischung aus guter und Schreckensclown (Schneewittchen!), aus Poet und Philosoph, aus kindlichem Gemüt und einer gewissen Altersweisheit, aus Jux und großer Ernsthaftigkeit, ja, auch Trauer, weshalb ihm im Admiralspalast die Herzen so zufliegen, dass das Publikum noch stehend applaudiert, nachdem der Vorhang längst gefallen und auch die letzte Zugabe verhallt ist.

Man ist an diesem Abend mit van Veen ein bisschen durch sein Leben geschlendert, denn er hält Rückschau. In sein Programm, dass er bis Sonntag in Berlin spielt, hat er einige der launigsten und absurdesten Episoden seiner Autobiografie ("Erinnerte Tage") eingebaut, die gerade auf Deutsch erschienen ist und in der man einige seiner schönsten Liedtexte nachlesen kann. Er ist ein Dichter und auf der Bühne ein komischer, manchmal überdrehter Illusionist, ein Gedankenentführer, ein Traummann, dessen fast ununterbrochen tanzenden Hände so viel erzählen wie seine Worte.

Doch sagt er ebenso Dinge, die schmerzvoll und sehr ernsthaft sind. Er hat sich auf der Bühne von seinem gerade gestorbenen Freund Leonhard Cohen verabschiedet und für ihn, für sich und den Saal mit weichem Herzen "Suzanne" gesungen. Und er nutzt das Konzert für ein Vermächtnis. Geboren sei er vor 71 Jahren, als der Krieg gerade zu Ende ging. Seine 71 Jahre habe er in seiner niederländischen Heimat ohne Krieg erleben dürfen. "So eine lange Zeit des Friedens hat es in der holländischen Geschichte noch nie gegeben", sagt er. "Und ich möchte, dass es noch eine Weile so bleibt."

Von heute bis Sonntag en suite: "Herman van Veen - Fallen oder springen", jeweils 20 Uhr, Admiralspalast, Friedrichstr. 101, Berlin-Mitte, Kartentelefon 030 22507000

Herman van Veen: "Erinnerte Tage", Knaur Verlag, 302 Seiten, 20,60 Euro



Uwe Stiehler