Die Welt
STEFAN KRULLE

Ein Humanist der singt und lacht

29 okt 2016

Man wird von Jahr zu Jahr ganz unweigerlich in den Konzerten des Herman van Veen immer wütender.


Weil man einen wie ihn nicht zum Opa hatte oder wenigstens zum Onkel, nicht zum Vater und leider auch nicht als Bruder. Wer Glück hat, nennt einen wie ihn einen Freund. Doch Menschen wie dieser unbeugsame Holländer werden immer seltener, und das ist kein leicht schwiemeliges Empfinden älter werdender Leute, denen allmählich der Bezug zur Realität ver- loren geht. Es ist Fakt. Wovon sich das Auditorium am Donnerstag in der ausverkauften Laeiszhalle überzeugen konnte, und das ging frappierend schnell, denn van Veen wird begrüßt wie der Retter einer untergehenden Kultur.

Er ist zu klug, um das nicht zu bemerken und viel zu feinfühlig, um sich das anmerken zu lassen. Lieber lacht er kurz zwei-, dreimal über sich selbst, ohne sich der Lächerlichkeit preiszugeben. Er startet mit dem Titelsong von seinem letzten, übrigens seinem tatsächlich 178. Album "Fallen oder springen", hält kurz inne, tritt ans Mikro, guckt wie ein bei irgendetwas ertappter Hund und sagt: "Mama, was denkst du, was kommt nach dem Tod?" Dann lässt er Mama sagen "die Rechnungen". Auf eine Montesso- ri-Schule sei er übrigens gegangen, "das war die Schule für seltsame Kinder". Danach tanzt er ganz allein die Karikatur eines Samba, vielleicht sollte es auch ein Bossa Nova sein. Und es ist nicht spannend, dass, sondern wie er die beiden oberen Knöpfe seines Hemdes öffnet.

Sein neues Programm ist weit mehr von seinen Liedern bestimmt als das, was er vor 20 Jahren auf die Bühne brachte. Die Clownerien beschränken sich inzwischen oft genug auf Bonmots wie die bereits genannten, auf kleine Gesten und auch seine oft genug verblüffende Mimik. Van Veen erzählt von seiner Tochter, die vor nicht allzu langer Zeit "eine wunderbare Frau geehelicht" habe und singt dann "Mein Herr" vom neuen Album: "Wo wohnt der Gott, der findet, dass meine Tochter nur Männer lieben darf? Lass mal sehen und ich werde knien, einen Gebetsteppich kaufen, ab jetzt verschleiert gehen, mich beschneiden, Schweineiendchen liegen lassen, Bier und Wein vergessen, Hühnersüppchen essen, meine Hände falten. Wo ist der Gott, wo wohnt der Gott, wo steckt der Gott, wo fühlt der Gott? Wo in Gottes Namen?"

Und die Fragen gehen weiter, jetzt in unseren Köpfen. Wie kann es sein, dass solch ein Mann, solch ein rabiat menschlicher Mahner inzwischen das Zerrbild des Gutmenschen vermutlich fast schon übererfüllt? In jenen Medien, die irgendwann mal jemand sträflicherweise und bis dato leider ungestraft als "sozial" beschrieb, wäre oder ist Herman van Veen ganz klar das Opfer. Der Typ im Rückwärtsgang, der das Klingeln verpasst hat. Dabei klingelt van Veen ja lieber selbst, und das auch ziemlich laut.
Wenn er zum Thema Flüchtlinge singt, dann hebt er keinen seiner beiden Zeigefinger, sondern stellt entlarvende Fragen: Was würden wir wohl mitnehmen in ein Land, das wir nicht kennen und das uns vielleicht auch gar nicht haben will, wenn der vaterländische Krieg plötzlich und ausgerechnet hier wieder ausbräche? Ist ja noch gar nicht so lange her. Ein Bild der Eltern? Die Lieblingsplatte? Ein paar Briefe? Ganz schön unbequem, was er in seine angenehmen Lieder streut, ins Wohlige, das sein knuddeliger Akzent noch betont. "Nach dem Krieg", sagt Herman, "und als die Gegner alle tot waren, kroch ein verblüffend dicker Wurm aus einer Leiche". Ein Raunen im Saal. "Und der Wurm fragte sich: Warum bin ich so glücklich?" Dann tanzt er wie unter einer Überdosis Koffein herum und lässt seine großartige Band einen irrsinnigen Soundtrack für den Kriegsgewinnler intonieren.

Weil aber Herman van Veen seine Schläge auf den Hinterkopf immer wieder mit kleinen Streicheleien unterbricht, gerät der Denkprozess seiner Zuhörer in Schieflage. Seit gut 40 Jahren, erzählt er zwischen hartem Tobak, wohne er nun schon in seinem geliebten Hamburg immer wieder im selben Hotel, "inzwischen stehen in meinem Zimmer stets rote, weiße und blaue Tulpen, jetzt sogar ein Shampoo für besonders feines und besonders wenig Haar."
In diesem Zimmer habe er auch eine Mail empfangen von zwei Menschen, "die gezwungenermaßen mit meiner Musik aufwachsen mussten, weil ihr Vater der wahrscheinlich größte Fan eben jener Musik ist. Er ist jetzt 68 Jahre alt und hat zum Geburtstag Karten für heute Abend geschenkt bekommen. Daher die Frage, ob ich nicht das Lied Flussviertel1 spielen könnte." Kann er, ohne weitere Worte. Derweil darf man sich fragen, ob unserer Nation das Wort "Humanist" bald nur noch im Duden, aber leider nicht mehr im wirklichen Leben begegnen wird. Herman van Veen ist immerhin schon 71 Jahre alt.



STEFAN KRULLE


Gäbe es Herman van Veen millionenfach, wäre die Welt eine bessere. Ist bloß leider erstens anders und zweitens als man hofft