Süddeutsche Zeitung
Karl Forster

Alt bleibt jung

Entweder oder, so war es früher mal. Heute geht zum Glück sowohl als auch

19 okt 2016

Früher, da gab es in diesem Falle nur ein Entweder Oder. Also: Entweder man mochte Herman van Veen so sehr, dass man die Spöttereien der engeren Umgebung erduldete ("Was willst du denn mit diesem holländischen Flower-Power-Märchenonkel mit Träne im Knopfloch?"), oder man lernte die Liedtexte von Hannes Wader auswendig, um bei dessen Konzerten nicht unangenehm aufzufallen und hielt ebenfalls die hämischen Kommentare sogenannter Freunde aus, die da gerne fragten, was man denn von diesem ewig die Gitarre stimmenden Moorsoldaten wolle, der davon singt, wie sich das Schwein Monika fühlt, wenn es von ihm von hinten und vorne bedient wird; offensichtlich gut.


Kurz und gut oder schlecht: Früher, und das bedeutet: Sehr viel früher war es nicht opportun, beide Sangesmänner gleichermaßen zu mögen, obwohl beiden ähnlich alt waren (Wader Jahrgang 1942, van Veen 1945), beide Saiteninstrumente zur Begleitung benutzten (van Veen Geige, Wader Gitarre) und beide die Welt verbessern wollten (van Veen durch trauriges Lächeln, Wader durch mehr oder weniger verbrämt politische Betroffenheit). Heute ist es so, dass der eine gerade durch den Norden tourt, wo er ohnehin immer schon mehr zu Hause war (am 13. Februar kommt er allerdings auch wieder nach München), und der andere, siehe nebenstehenden Bericht, in München sein neues Album vorstellt, welches aus diversen Gründen, darunter auch einem sehr traurigen, so ganz anders geworden ist als die früheren. Und heute würde man von niemandem mehr belächelt, liebte man beide für ihr Schaffen. Denn nie zuvor brauchte die Welt dringender Sänger wie Herman van Veen und Hannes Wader, um nicht alle Hoffnung auf eine Zukunft fahren zu lassen (Auftritt am Samstag in der Philharmonie).

Deutlich jünger, aber auch schon etwas angegraut (was man aber nicht merkt, wenn er auf der Bühne wirkt) ist Hubert von Goisern. Als er sein Album "Federn" vor einiger Zeit auf den Markt brachte, erlaubte ich mir anzumerken, dass mir das Werk etwas zu glatt, zu perfekt, zu sehr nach Studio klinge und ich mir wünschte, er spielte das noch einmal live ein, ohne all den technischen Firlefanz. Das machte er natürlich nicht, aber er war dann schon mal da mit einer Live-Version, die dem Kollegen Michael Zirnstein ganz außerordentlich gut gefiel.
Mit dieser Südstaaten-Musik kommt Hubert von Goisern nun noch einmal für zwei Abende in den Circus Krone (nächsten Dienstag und Mittwoch), eine gute Gelegenheit, meine These von damals zu überprüfen. Und noch was: Im Freisinger Lindenkeller, der gerade den 20. Geburtstag der Wiedereröffnung feiert, gastiert am Sonntag Martin Kälberer, Multiinstrumentalist und musikalischer Maler ferner, wunderschöner Klanglandschaften. Und an diesem Donnerstag ist in der Bar Gabanyi die Ulmer Art-Rock-Combo Rigna Folk zu Gast, ein spannendes Quartett auf dem Sprung vom Geheimtipp zum Tipp, das auch gerne in Stuttgart-Stammheim auftritt.

Bei Gabanyi aber ist es angenehmer.



Karl Forster