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Stefan Krulle

Herman van Veen: „Alfred Jodocus Kwak“-Erfinder hat noch viel vor

14 mrt 2016

Zauberer und Gutmensch: Herman van Veen feiert sein 50-jähriges Bühnenjubiläum mit einer Tournee und seinem insgesamt 178. Album. Seiner bekannten Ente gehe es derzeit ausgesprochen gut.


Es gibt nicht viele Künstler, die so oft und oft so weitgehend unterschätzt werden wie Herman van Veen. Wie das halt so geht bei einem Mann, der seinen Hang zur Zärtlichkeit hinaus posaunt, der Geschichten über ein niedliches, kleines Entchen namens Alfred Jodocus Kwak schreibt, der im Konzertsaal gern auch mal den verletzlichen Clown gibt und die Möglichkeit, als Mann mit so etwas wie einer Frisur zu glänzen, aus seinem Leben verbannt hat.

Zum Glück für den wunderbaren Niederländer kehren aber beinahe alle Menschen, die je eine seiner Vorstellungen besuchten, um jemandem einen Gefallen zu erweisen, als geläuterte Fans wieder heim und freuen sich schon aufs nächste Mal.
Das geht in Deutschland schon seit 42 Jahren so. Weshalb in seinen Shows, die eigentlich einen anderen, und zwar einen ganz eigenen Begriff verdient hätten, inzwischen drei Generationen gebannt im Gestühl sitzen. Die Freude am eigenwilligen Schaffen des Künstlers, als Hermannus Jantinus van Veen am 14. März 1945 in Utrecht geboren, ist offenbar erblich.

Statt 20 Konzerte nur noch drei bis vier im Jahr

Zwar sind auch seine Tourneen der Konjunktur unterworfen, denn in den Achtzigern des vergangenen Jahrhunderts hat van Veen allein in Hamburg manchmal über 20 Konzerte in nur einem Jahr gegeben, während es mittlerweile nur noch drei bis vier sind. Aber der Mann ist ja im letzten Jahr auch 70 geworden – und hat nebenher noch Anderes zu tun.
Zum Beispiel Platten mit seinen Liedern aufnehmen. Erst kürzlich ist mit „Fallen oder springen“ zu seinem 50. Bühnenjubiläum eine neue erschienen, es ist, und jetzt halten Sie sich besser fest, sein 178. Album. In Worten: Einhundertachtundsiebzig. Damit wird Herman nun auf Tour gehen und auch Hamburg und seinem Umland die Ehre erweisen.

Es wird seine vielleicht schwierigste Tournee werden. Im letzten Jahr verstarb sein Pianist und bester Freund Erik van der Wurff, mit dem er fast alle 50 Jahre verbrachte, weshalb diesem lieben Menschen die Tour auch gewidmet ist. Neulich lud Herman ein ins Torhaus Wellingsbüttel, um einer kleinen Schar von Menschen seine neuen Lieder vorzustellen, weil in dieses schummrige Häuschen halt eine große Schar nicht hinein passt.

Das Durchschnittsalter der sechs Musiker und seiner selbst, so leitete van Veen den Abend ein, betrage 39 Jahre, eine für ihn sehr typische Galanterie. „Wo ist der Gott“, fragt van Veen im Lied „Mein Herr“, „der sagt, dass mein Sohn nur Frauen lieben darf?“

Dann tanzt er kurz in kauziger Turnschuh-Motorik etwas zwischen Chuck Berrys Duck Walk und Michael Jacksons Moon Walk und gibt eine Antwort: „Lass mal sehen und ich werde knien, einen Gebetsteppich kaufen, ab jetzt verschleiert gehen, mich beschneiden. Schweinelendchen liegen lassen, Bier und Wein vergessen, Hühnersüppchen essen, meine Hände falten und mein ganzes Leben und Sterben ihm oder ihr oder es anvertrauen. Wo fühlt der Gott? Wo spricht der Gott? Wo in Gottes Namen?“

Bloß weil seine Texte sich jeglicher Sarkasmen und Zynismen enthalten, heißt das ja noch nicht, dass van Veen ein harmloser Sandalettenträger wäre. Der kann auch anders.

Alfred Jodocus Kwak „wurde kürzlich 45 Jahre alt“

Vor ein paar Jahren verließen in Lübeck einige Besucher unter lautem Protest sein Konzert, weil er zwischen Seifenblasenzaubereien und Kindesworten am Essenstisch eine deftige Nummer brachte, in welcher der Papst als echte Konkurrenz zum Satan erschien. Danach bläst van Veen gern bunte Luftballons auf und jongliert mit ganz und gar zauberhaften Poetereien.
Nach dem Auftritt im Torhaus durften die Besucher ihm Fragen stellen. Welche Rolle denn sein fortgeschrittenes Alter für ihn spiele. „Die Perspektive verändert sich“, sagte van Veen, „ich bin jetzt 70 und habe vielleicht noch 50 aktive Jahre vor mir. Da muss man anfangen, sich möglichst nur noch bedingungslos zu äußern.“ Und keinesfalls wünsche er sich, auf der Bühne zu sterben, „ich schmölze viel lieber dahin wie eine Schneeflocke im Frühling.“

Und Alfred Jodocus Kwak, danke der Nachfrage, gehe es ziemlich gut, „er wurde kürzlich 45 Jahre alt.“ Ziemlich viel für eine Ente. Und Herman van Veen hat in dieser Zeit nicht nur 178 Alben aufgenommen, sondern auch noch 70 Bücher geschrieben. Ziemlich viel für einen – tja, was denn nun eigentlich? Ist er Lebenspoet oder Situationskünstler? Weltbürger oder Prediger der menschlichen Eigenart?

Der einzige Zauberer dieser Welt, der gar nicht zaubern kann und vor dem selbst Kinder keine Angst haben müssen und der trotzdem ein Zauberer ist? Vielleicht ist Herman van Veen auch das Person gewordene Unwort des Jahres 2015: Ein Gutmensch. Und jetzt darf sich der Rest der Menschheit mal fragen, weshalb einer wie dieser unglaubliche Holländer zum Unwort hat werden können.



Stefan Krulle