Andreas Körner schrieb am 16.10.2002 - Dresdner Neuste Nachrichten

Möglicherweise zu ernst



Fürwahr, es gibt nicht wirklich viele seriöse Entertainer, die mit einem Slip auf dem Kopf ein poetisches Befindlichkeitslied singen können - und vor allem dürfen. Herman van Veen kann es - und darf es. Am Ende des Nachholkonzertes im Kulturpalast. Was sollte nachgeholt werden? Es gab keinen Ausfall, keinen Reinfall vor zwei Jahren an gleicher Stelle, als der 57-jährige Holländer mit seinem Programm "Was ich dir singen wollte" zwei Abende ausverkauft hatte. Es war also nur ein Einfall, um die entstehende Lücke etwas zu minimieren. Denn erst für 2005 sind die nächsten Dresden-Termine gebucht.

Was werden wir vermissen? Die Insel, an der wir vom Freischwimmen anlegen, um uns von einem begnadeten Liederlich in Gewahrsam nehmen zu lassen. Wenn er uns abbremst, sanftpfötig am Schlawittchen packt, parken lässt. Der gewandelte Herman. Denn schon vor Zweijahresfrist hatte er nicht nur eine neue Facette parat, sondern den Umbruch. Er hatte sich von einem Großteil erst lieb, dann überflüssig gewordener Bühnenutensilien getrennt, unter Schmerzen seinen Saxofonisten Nard Reijnders ins heimische Komponierstübchen entlassen, hatte dafür eine akustische Band aus vorrangig jungen Musikern und Musikerinnen zusammengestellt, das bunte Rampenlicht ins schlichte Weiß getauscht. Die Schnittlinien zwischen Clownerie, Botschaft und Liedpoesie waren feiner geworden. Herman van Veen, der viel vom Reifen auch als "großer Junge" hält, war wieder einmal angekommen. Mit dem Tod seiner Eltern hatte es genauso viel zu tun wie mit der Geburt seines ersten Enkels.

Möglicherweise ein Walzer? Möglicherweise ein Blues? Möglicherweise war er diesmal zu ernst. Die ersten 20 Minuten gleichen einem hermetisch geschlossenen Liedzyklus. Van Veen wirkt überkonzentriert. Oder einfach müde? "Fatima Morgana", jenes schöne Lied übers Fremdsein, bringt er am Tisch sitzend, was es schwer(er) macht. Nicht ohne Grund hat van Veen seine Ente Alfred J. Kwak wieder reanimiert, plant einen neuen Film und tourt mit dem Kinderprogramm "Lachen verboten". Als Kwak zeitlupt er sich durch die Zeit. 2006 wird Holland Fußball-Weltmeister, eine klitzewinzige Geste im Körperspiel - endlich lachen. 2010 sieht es schon wieder anders aus - Kwak albträumt Sand, nichts als Sand.

Es fällt zunehmend schwerer, in den Liedern van Veens ironischen und lakonischen Ansatz zu entdecken. Denn selbst der neue, fast partymäßige Shuffle zum Ach-was-bin-ich-glücklich wird gebrochen, mit Schlagwörtern wie Israel, Palästina, El Kaida. Dann wieder Fatalistisches, ein Bett zum Sterben, ein arg pathetisches Stück über seine Mutter (kein Vergleich zum natürlichen Leuchten, wenn van Veen über seinen Vater singt oder erzählt!) - die Fähigkeit, mit extrem wenigen Mitteln befreiend lustig zu sein, bleibt auf Sprechtexte und grandioses mimisch-gestisches Agieren beschränkt. Wenn er seinen Chaplin macht, wenn er nur eine Melone, weiße Handschuhe und Bälle braucht, sich das Hemd aufknöpft und sich durchs fehlende Haupt- wie Brusthaar streicht, die Fingerpanflöte spielt. Aber: Um Befürchtungen früherer Zeiten keine Nahrung zu geben, Van Veens Gürtellinie rutscht in Richtung Halskrause. Das Derbe ist verschwunden, er wird immer leiser. Und es geht noch leiser. Die exzellente Band mit Erik Van der Wurff (Piano), Edith Leerkes (Gitarre), Wieke Garcia (Perkussion, Drehleier, Harfe), Jann (Geige) und Hans Koppers (Tuba) gibt van Veen jene Luft, die er mehr und mehr braucht.

Es sind immer wieder Bilder, die man mit nach Hause nimmt und hinter einem Lächeln in eine Schatulle der Seele steckt.