Björn Wirth schreef 16 februari 1998 in de Berliner Zeitung

Zwei Stunden Pflicht, eine Stunde Kür

Gemischte Gefühle: Herman van Veen mit seinem neuen Programm "Nachbarn" in der Hochschule der Künste

Premieren schätzt Herman van Veen nicht sonderlich.
Da säße nicht sein Publikum, hat er einmal gesagt, sondern Leute mit Freikarten auf Ehrenplätzen. Für die spult der Holländer sein Pflichtprogramm mit wenigen Zugaben ab, die Kür beginnt dann mit der zweiten Vorstellung, wenn die da sind, die ihn wirklich mögen.
Am Freitag stellte Herman van Veen in der Hochschule der Künste sein neues Programm "Nachbarn" vor, und einiges war anders als die letzten Male.foto: leny janssen, 1998 Anders als sonst, wenn er mit einem neuen Programm startet, blieben bei dieser Premiere erstaunlich viele Stühle leer trotz Ehrenplätzen und Freikarten.
Das mag an den Eintrittspreisen liegen (40 bis 80 Mark), oder daran, daß van Veen noch bis 7.März in Berlin gastiert.
Es mag aber auch an Herman van Veen liegen. Seit nunmehr 30 Jahren steht er auf der Bühne, und die Gefahr, sich zu wiederholen, wird nach einer solchen Zeit nicht eben geringer.
Gewiß, "Nachbarn" ist ein schönes Programm, van Veen setzt wieder (wieder!) auf leisere Töne, stellt den Harlekin in den Hintergrund und den Liedermacher davor.
Und ja doch, die Lieder der neuen, gleichnamigen CD sind berührende Appelle für Toleranz, Menschlichkeit und Mut zur Solidarität.
Es sind Lieder über die Leute von nebenan, Nachbarn eben.
Lieder über Ausländer und Alte, Arbeitslose und Asylsuchende.
In "Fatima Morgana" beispielsweise, eines der schönsten Stücke, das Heinz Rudolf Kunze für van Veen geschrieben hat, besingt der den Alltag einer Muslimin in Deutschland oder sonstwo."Es ist so laut hier und so hell/ und alles geht so furchtbar schnell/ ihr lauft um euer Leben."Und doch scheint Herman van Veen der Wirkung seiner Lieder nicht zu trauen.
Also müssen, wenn er vom Krieg singt, Schüsse zu hören sein, geht es um eine Nonne, läuten die Glocken, und wenn Herman van Veen von Kindern erzählt, wackelt eine riesige Babypuppe über die Bühne.
Auch scheinen ihm die Ideen für eine neue Bühnenshow langsam auszugehen.
Das Telefonat mit Mutti war bestenfalls beim vorletzten Programm noch lustig, der Streit mit dem Saxophonisten Nard Reijnders um das Mikrofon damals schon nicht.
Und warum sich seit Jahren Gedanken über Menstruation, Brustumfang und Genitaliengröße wie ein roter Faden durch seine Programme hangeln, mag einzig und allein Herman van Veen wissen.
foto: chris janssen 1997 Vielleicht hilft es dem 52jährigen ja, mit immer lichter werdendem Haarkranz besser zurechtzukommen.
Daß er auch anders und besser kann, zeigte das Konzert nach dem Konzert.
Zwei Stunden waren vorüber, zwei Zugaben inklusive "Ich hab ein zärtliches Gefühl" auch, und der Premierenabend schien zu Ende.
Doch als das Publikum noch immer stehend applaudierte, während die mit den Freikarten und Ehrenplätzen schon an der Garderobe warteten, kam Herman van Veen erneut auf die Bühne. Und dann sang er, ganz ohne Show und stellenweise nur von Erik van der Wurff am Klavier begleitet, und die Zuschauer ließen ihn nicht mehr gehen.
Immer wieder ging der Vorhang auf und zu, und van Veen tat das, was er am besten kann.
Singen.





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