Wiener Zeitung
Gerald Schmickl

Alchemie der Alterslosigkeit

2 okt 2016

Es war heuer im Winter, bei einem Empfang, den der holländische Botschafter in Wien für den Sänger, Musiker und Poeten Herman van Veen gab. Anlass waren dessen 50-jähriges Bühnenjubiläum, die - man zähle ruhig einmal nach - 179. Platte (mittlerweile gibt es schon die 180.), und vieles mehr . . .


Als ich diese nette, wie bei Van Veen üblich: sehr stimmungsvolle und heitere Veranstaltung verließ, musste ich durch eine Tür, an welcher auf der anderen Seite er stand - und ebenfalls hindurch wollte, halt nur in umgekehrter Richtung. So gingen wir beide los, und als wir auf gleicher Höhe waren, klopfte mir van Veen mit seiner Hand spontan und unerwartet auf den Bauch, der sich unter meinem Hemd - nach ansprechendem Büffet - leicht wölbte.

Diese Art der Zuwendung, eine buchstäbliche Bauchpinselei, empfand ich wie einen Ritterschlag: Dank dieser Geste fühlte ich mich wohlig aufgenommen im Orden der Oranjes, in der Bruder- und Schwesternschaft des wunderbaren Hermannus Jantinus van Veen, wie der niederländische Musiker, Maler, Akrobat und Unicef-Botschafter (um nur einige seiner vielen Rollen und Verdienste anzuführen) mit vollem Namen heißt.

Diesen stets gut gelaunten, immerzu lebensklugen und tänzerisch leichten Künstler bewundere ich seit fast vierzig Jahren - seit den ersten Auftritten, die ich von ihm sah, und der ersten Platte, die mir auf- und zufiel: "Die seltsamen Abenteuer des Herman van Veen" aus dem Jahr 1977 (basierend auf einer Kinder- und Jugend-Fernsehserie, die damals auf ARD lief). Darauf gibt es Lieder von Unterwasser-Radtouren, ängstlichen Gespenstern, einem Ping-Pong-King - und anderen Wunderlichkeiten mehr. Und verrückt: Wenn man van Veens 179. Platte anhört, "Fallen oder Springen" (die heuer im Februar bei Universal erschienen ist), springt einem darauf die gleiche Stimme in gleicher Stimmung und in ebensolch wunderlichen Zusammenhängen entgegen.

Da ist sich ein Künstler über Jahrzehnte hinweg in einer Weise treu geblieben, wie sonst kaum einer. Klar, Mick Jagger klingt auch nach 50 Jahren noch immer nach Mick Jagger - und doch: was für ein Unterschied!

Im großen, 71-jährigen Kind van Veen singt, klingt und schwingt unverkennbar und unverstellt der kleine Hermannus nach. In diesem Künstler vollzieht sich die artistische Alchemie der Alterslosigkeit. Und bei ihm löst sich auch der therapeutisch etwas abgenutzte Terminus vom "inneren Kind" in vitaler und kreativer Weise ein, indem der Widerspruch zwischen Alt und Jung einfach spielerisch aufgelöst wird.

Anders als etwa Konstantin Wecker, der vom politisch-revolutionären Pathos nicht lassen kann, versteht sich van Veen nicht als Weltverbesserer, obwohl er tatsächlich einer ist. In den Enklaven seiner Bühnenwelt, einem berührenden und bisweilen närrischen Theater, bekommt man Ahnungen vom gelungenen Leben.
Mitte Oktober (am 14. in Amstetten, am 15. in Wien und am 16. in Salzburg) gibt es neue Anschauungsbeispiele davon



Gerald Schmickl