Dirk Hampel schreef op 15 maart 2001 in Die Welt

Sensation: Stammt der Mensch von Comicfiguren ab?



Ein Porträt des Hamburger Zeichners Harald Siepermann, der für die Walt-Disney-Studios in Amerika arbeitet

Gelassen sieht Harald Siepermann in seiner Wohnung im Zentrum von Hamburg dem Kinostart des Disney-Films "Ein Königreich für ein Lama" entgegen. Er ist es schon gewohnt, Zeichentrickfiguren, die er geschaffen hat, auf der Kinoleinwand wiederzusehen. Wie aber kommt ein Deutscher zu solch einem Traumberuf? Tausende von Zeichnern in den USA würden alles tun, um an diesen Job zu kommen.

Harald Siepermann indes bleibt bescheiden, wenn er nach dem Geheimnis seines Erfolges gefragt wird. Er sei halt zur rechten Zeit am rechten Ort gewesen, sagt er und lächelt. Dabei kennt er natürlich sein wichtigstes Talent: Er hat mehrere Talente gleichzeitig. Er kann Figuren entwickeln, Storyboards zeichnen, bei Regie und Drehbuch mitarbeiten. Und immer passen seine Figuren wie maßgeschneidert in das Gesamtkonzept des Films.

Seine ersten Gehversuche im Trickfilm machte Siepermann in der Folkwangschule in Essen. Dort traf er bei seinem Illustrationsstudium auf eine Gruppe von Trickfilmversessenen. Sie schauten sich gemeinsam Filme an, diskutierten und experimentierten. Alle aus dieser Gruppe haben später im Animationsbusiness Karriere gemacht. Der American Dream, ganz wirklich: Jeder kann es schaffen, auch ein paar Studenten aus Essen.

Auf dem Weg nach oben aber musste sich Siepermann - wie in einer richtigen Walt-Disney-Geschichte - erst einmal beweisen. Nach dem Studium gründete er mit vier Kollegen ein Studio für Storyboards. Dank diesem Service konnten Werbeagenturen ihre Fernsehspots vorab zeichnen lassen. So schulte Siepermann sein Talent, Geschichten in Bildern zu erzählen - und er begegnete dem Filmproduzenten Dick William in London. Als der den Auftrag erhielt, einen Teil des Films über den Comic-Hasen "Roger Rabbit" zu produzieren, war Harald Siepermann gleich mit von der Partie. Als es darum ging, in jenem Film "Toontown" aufzubauen - die Stadt der Zeichentrickfiguren -, wurde er entdeckt. Und plötzlich fand er sich in Hollywood wieder, arbeitet mit Größen wie Spielberg zusammen. Seinen Respekt vor den Göttern des Zeichentricks hat Harald Siepermann in den Disney-Studios abgelegt. Denn dort stellte er fest, "dass die auch nur mit Bleistiften zeichnen".

Siepermann sagt: "Es kommt darauf an, seine Arbeit richtig gut zu machen, dann braucht man sich wegen dem Rest nicht verrückt zu machen." Dass das stimmt, erlebte Siepermann umgehend. Kaum war er zurück in Deutschland, erhielt er das Angebot, sich an der Figurenentwicklung für den Film "Mulan" zu beteiligen. Er packte also seine Frau und ihr acht Wochen altes Baby ins Flugzeug nach Kalifornien. Und dann arbeitete er wie ein Besessener. Siepermann war Freelancer und legte sich viel mehr ins Zeug als die fest angestellten Disney-Mitarbeiter. Er recherchierte umfassender, verbrachte viel Lebenszeit am Zeichenpult; so machte er sich einen Namen. Nun wurde er immer häufiger gefragt, ob er sich an der Entwicklung von Comicfiguren beteiligen wolle.

Jung und erfolgreich traf er mit dem niederländischen Liedermacher Herman van Veen zusammen. Es war eine Männerfreundschaft auf den ersten Blick. Harald Siepermann begleitete den Entertainer auf seiner Tournee, vor den Auftritten entwickelten die beiden eine Bildergeschichte rund um eine Figur namens "Kwak". Kaum war die veröffentlicht, wurde schon eine Fernsehserie gedreht, die in mehreren Ländern lief: Van Veen und Siepermann waren für die nächsten Jahre beschäftigt. Mittlerweile hat er die intensive Entwicklungsarbeit bei Disney schätzen gelernt. Dort wird ein Thema erst penibel recherchiert und anschließend in sämtlichen Details perfekt in Film übersetzt. Siepermann arbeitet aber nicht nur für Hollywood: Er hat sich die Figuren für den Spielfilm "Nick Knatterton" der Hamburger Trickcompany ausgedacht und wird auch Regie führen. Sein Atelier in Hamburg ist jetzt genau der richtige Ort, an dem er sich freut, wenn der Anruf kommt, dass er für eine neue Produktion gebraucht wird.